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Thilo Sarrazin

© Rückeis

Interview: Sarrazin: ''Meine großen Sprüche waren Berlins Schuldenbremse''

Der scheidende Finanzsenator Thilo Sarrazin zieht Bilanz – und wirft als künftiger Staatsbanker schon mal einen skeptischen Blick auf die Bundesfinanzen.

Was werden Sie am meisten vermissen, wenn Sie nicht mehr Finanzsenator sind?

Dass sich alle immer so schön aufregen.

Haben Sie Verständnis dafür, dass manche Sie nicht vermissen werden – vor allem die Bildungs- und Sozialpolitiker?

Ich weiß gar nicht, ob sie mich nicht vermissen werden. Denn wer sollte ihnen dann noch Widerstand leisten.

Warum provozieren Sie so gern?

Ich hätte mich seit 2002 auf kluge Vorträge im Senat beschränken können. Aha, hätten die Kollegen gesagt, der Finanzsenator hält einen Vortrag – und wären dann weggenickt. Es ist doch in der Politik bei kontroversen Fragen ohne die Öffentlichkeit nichts mehr zu machen. Und die Themen müssen auf einer emotionalen Ebene angesprochen werden. Meine Aktionen führten immer zu einer öffentlichen Diskussion, und diese Diskussion führte meistens weiter.

Wie haben die Senatskollegen auf Ihre jüngsten Thesen zu Hartz-IV-Empfängern und Schulproblemen in Berlin reagiert?

Sehr verhalten. Nicht gerade liebevoll.

Und das am Ende der Ära Sarrazin …

Was ich in der Stadt getan habe, ist über die Parteigrenzen hinaus anerkannt worden. Wenn man sich anstrengt und es kommt etwas dabei heraus, ist man doch froh. Ich habe immer gewusst, dass die Art, mit der ich die Dinge auf den Punkt bringe, Widerstand hervorruft und den einen oder anderen verletzt.

Ihnen wird jetzt vorgeworfen, Sie analysierten nur und malten Horrorgemälde, böten aber keine Lösungsvorschläge an.

Mir wurde sieben Jahre lang vorgehalten, dass ich mich in alle Politikbereiche einmische und nicht damit zufrieden bin, Zahlen hin und her zu schieben. Dann muss man auch akzeptieren, wenn ich erkläre, warum etwas nicht funktioniert, ohne meine eigenen Ideen gleich öffentlich preiszugeben. Es ist übrigens falsch, dass in den letzten Jahren auf Kosten des Sozialen und der Bildung gespart wurde. Die Ausgaben für Soziales und für Bildung sind seit 2001, anders als der Gesamthaushalt, gestiegen.

Aber sie dürfen nicht weiter steigen?

Jedenfalls nicht so wie in der Vergangenheit, sonst ist die Konsolidierung gefährdet. Eine Politik, die den Eindruck erweckt, sie könnte die wachsenden Sozial- und Schulprobleme Berlins lösen, indem noch mehr Ressourcen in diese Bereiche fließen, wird scheitern. Wir brauchen die geistige Kraft zu überlegen, wie man es ohne mehr Geld schafft. Effizienz steigern, Qualität steigern, das ist mein Ratschlag. Sonst holen uns die Schulden und Zinsen wieder ein – wir landen im Teufelskreis der 90er Jahre.

Warum wechseln Sie zur Bundesbank?

Dass der Vorstandsposten bei der Bundesbank vakant wird, wusste ich seit drei Jahren und habe irgendwann den Regierenden Bürgermeister Wowereit darauf angesprochen. Immerhin war ich sieben Jahre Finanzsenator. Die großen Projekte für eine erfolgreiche Konsolidierung wurden auf den Weg gebracht, und es war ein schöner Zufall, dass ich 2007/08 einen Haushaltsüberschuss vorweisen konnte. Nun ist der Zeitpunkt gekommen, etwas Neues zu wagen.

Was war Ihr größter Erfolg?

Die Sanierung und der Verkauf der Bankgesellschaft. Wenn man sich anschaut, wie Nordrhein-Westfalen, Hamburg, Schleswig-Holstein oder Bayern mit ihren Landesbanken umgehen, muss man sagen: Wir waren ziemlich professionell. Eine dolle Sache war auch der Solidarpakt für den öffentlichen Dienst. Und der Ausstieg aus der sozialen Wohnungsbauförderung, der nicht nur ein großer Sparerfolg, sondern auch ein psychologisch wichtiger Reinigungsakt war, ein Abschied vom alten West-Berlin.

Sie haben die Bankgesellschaft kurz vor der Finanzkrise für 5,3 Milliarden Euro verkauft. War das Glück – oder gutes Timing?

Ich würde mir gern sagen, ich hätte Geheiminformationen gehabt, dass in den USA bald alles zusammenbricht, aber ich hatte keine Ahnung, was sich zusammenbraute. Aber es war der goldene Moment, als im Juli 2007 der Sack zugemacht wurde. Vier Wochen später wäre der Verkauf nicht mehr zu vergleichbaren Konditionen möglich gewesen.

Taugt das „Berliner Modell“ jetzt zur Rettung anderer Banken?

Die Krise und Rettung der Bankgesellschaft folgte doch einem Muster: Wegen eines mangelnden Marktvertrauens bekam die Bank nicht mehr genügend Geld, konnte 2001 ihren Jahresabschluss nicht mehr machen und wäre geschlossen worden, hätte der Senat nicht Kapital zugeschossen. Das nennt man heute Rekapitalisierung. Dann tauchten neue Finanzlöcher auf, und wir beschlossen eine Landesbürgschaft von 21,3 Milliarden Euro. Das nennt man heute: einen Risikoschirm aufspannen. Dann haben wir die Risikoimmobilien von der Bank abgetrennt und dafür eine landeseigene Immobilienholding gegründet. Das ist das Thema der „Bad Bank“.

Damals …

… haben alle über Berlin gespottet. Mit unseren Erfahrungen hat sich keiner seriös auseinandergesetzt. Ich bin seitdem absolut dafür, dass der Staat selbst Anteilseigner wird, wenn er für die Risiken einer Bank eintreten muss und das Unternehmen sanieren will. Das funktioniert.

Haben Sie in Ihrer Amtszeit schlimme Niederlagen einstecken müssen?

Ich erinnere mich an eine unglaubliche Zahl von Niederlagen, große und kleine. Aber Sie haben mich nie über eine Niederlage jammern hören, oder? Sie gehören nun mal zum Leben.

Hätten Sie lieber mit der CDU oder FDP regiert – statt mit Rot-Rot?

Zahlen haben nur zwei Farben: Schwarz oder Rot, und das hat nichts mit Parteien zu tun. Auf dieser unideologischen Basis ist mit dem Gegenüber immer ein Gesprächsfaden knüpfbar. Mit den Kollegen von der Linken hatte ich niemals größere menschliche oder Kommunikationsprobleme. Ich verstehe, welche Ziele zum Beispiel die Sozialsenatorin Knake-Werner hat, und sie versteht, dass das Geld nicht auf den Bäumen wächst.

Hat Klaus Wowereit Sie verstanden?

In der Substanz hat er meine Politik mitgetragen, auch wenn er manchmal gegen mich entschieden hat. Aber das hat der Regierende Bürgermeister immer rechtzeitig und deutlich kommuniziert.

Jetzt ist der Etat wieder im Minus. Was hat die Sparpolitik überhaupt gebracht?

Wir haben in Berlin jetzt durchschnittliche Haushaltssorgen. Wir stehen, im bundesweiten Vergleich, in der Mitte der Skala, das ist ein großer Fortschritt. 2001 war Berlin mit einem Defizit von 5,1 Milliarden Euro ein ziemlich bunter Vogel. So wie Bremen. Wenn 660 000 Bremer Misswirtschaft betreiben, dann kann sich das die föderale Gemeinschaft als Hobby leisten. Aber bei einer 3,4-Millionen-Stadt wird das Problem bitterernst.

Was Sie über Bremen erzählen, wird Ihr Nachfolger Ulrich Nußbaum nicht gern hören. Schließlich war er dort Finanzsenator.

Der Kollege Nußbaum hat 2003 den Zustand in Bremen genauso geerbt wie ich ihn 2002 in Berlin. Ihm ist es dann gelungen, die Bremer Ideologie – „Wir müssen viel investieren, dann werden wir reich und lösen so die Finanzprobleme“ – erstmals zu drehen. Aber natürlich musste er den Göttern opfern.

Läuft auch der Bund Gefahr, durch die Bankenrettungs- und Konjunkturpakete in Bremer Verhältnisse zu geraten?

Der Bund hat in den letzten vier Jahren seine Ausgaben um 2,9 Prozent pro Jahr gesteigert, Berlin nur um 0,4 Prozent. Dafür gibt es sicher Gründe, etwa die steigenden Zuschüsse für Kranken- oder Rentenversicherung. Aber die Zahlen zeigen, dass der Bundesetat selbst in guten Zeiten von den sozialen Themen aufgefressen wird. Und das geht weiter so: Der Bund wird einen wachsenden Anteil an der Kranken- und der Rentenversicherung übernehmen. Das sind ungemachte Hausaufgaben. Und obendrauf kommt jetzt noch die Krise.

Welche Belastungen bringt diese Krise?

Wir haben bisher die Belastungen durch das Bankenrettungspaket und zwei Konjunkturprogramme. Wenn die Krise weitergeht, kommt ein drittes Konjunkturprogramm so sicher wie das Amen in der Kirche. Und wenn die Krise vorbei ist, wird die strukturelle Staatsverschuldung deutlich gestiegen sein, bei gleichzeitig bröckelnder Einnahmebasis.

Brauchen wir ein drittes Konjunkturpaket?

Ich bin der Auffassung, dass wir im Bereich der fiskalischen Stimulierung jetzt ein gewisses Ende erreicht haben.

Noch spüren die wenigsten Menschen in Deutschland die Krise im eigenen Alltag. Wann wird sich das ändern?

Der normale Bürger merkt es dann, wenn er den Arbeitsplatz verliert und wenn Sohn oder Tochter, die neu in den Arbeitsmarkt einsteigen wollen, keine Stelle finden. Das wird richtig schlimm im Herbst. Die Kurzarbeitsprogramme laufen noch einige Zeit, aber es wird schon nicht mehr neu eingestellt. Im Oktober und November werden die Arbeitslosenzahlen richtig scharf ansteigen.

Plädieren Sie in dieser Situation dafür, die Staatsausgaben zurückzudrehen?

Wenn wir einlösen wollen, was wir dem Bürger versprechen, dann lässt sich die Staatsquote nicht verringern. Wir müssen sehen, dass wir in einer alternden Gesellschaft wachsende Alters- und Gesundheitslasten haben. Es gibt auch keinen politischen Willen, die Grundelemente unseres Sozialstaates in Deutschland zu ändern. Ich kritisiere das gar nicht, das ist einfach so. Deshalb wird die Staatsquote nicht fallen, sondern aus demografischen Gründen eher steigen. Wenn man bereit ist, dies durch steigende Abgaben zu finanzieren, dann funktioniert übrigens auch eine Schuldenbremse.

Am Ende zählt aber weniger ein Schuldenverbot als der politische Wille?

Ja, klar. Wir haben es in Berlin auch so geschafft. Unsere Schuldenbremse waren meine großen Sprüche.

Wird Ihnen das öffentliche Rampenlicht bei der Bundesbank nicht fehlen?

Ich habe es 57 Jahre meines Lebens ohne öffentliche Rolle ausgehalten. Da werde ich es in den verbleibenden 57 Jahren meines Lebens auch schaffen.

Das Gespräch führten Stefan Kaiser und Ulrich Zawatka-Gerlach.

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