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Lange Schlange. Im Gravis-Store Berlin müssen die Kunden Geduld mitbringen.

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iPad-Verkaufsstart: Berlin im Apfel-Hype

Das iPad ist nach Deutschland gekommen. Und natürlich auch nach Berlin. Die Apple-Jünger standen teilweise schon ab 5 Uhr vor dem Gravis-Store und warteten im Regen, bis sich die Türen schließlich öffneten.

Auf der Homepage des Gravis-Store Berlin versteckt sich die Revolution hinter einem nüchternen Hinweis: "Liebe GRAVIS Kundin, lieber GRAVIS Kunde, am Freitag, den 28. Mai 2010 öffnen wir für Sie aus gegebenen Anlass bereits um 8 Uhr." Dieser gegebene Anlass ist etwa so groß wie eine Din-A4-Seite und kann dem Vernehmen nach so gut wie alles außer fliegen. Das iPad. Apples neue Wundermaschine, diese Design-Chimäre aus Netbook und iPhone, die den Medienkonsum verändern und ganz nebenbei auch noch den siechenden Zeitungsmarkt retten soll, kommt nach Deutschland und deshalb auch in den Gravis Store nach Berlin. Und mit dem iPad kommt natürlich auch der iHype, der sich nicht vermeiden lässt, wenn Apple glänzenden Kunststoff in klinisch weiße Auslagen legt. Am Ernst-Reuter-Platz lässt jedoch nur wenig vermuten, dass heute die Zukunft begonnen hat, aber immerhin wirbt eine große deutsche Parfümerie-Kette mit dem Slogan: "Jede verrückte Idee findet einen, der sie verwirklicht!" Damit wäre immerhin schon mal das Motto für heute gefunden.

Und kurz danach beginnt dann auch Apple-Land. Ein Plakat, das segelartig auf dem Grünstreifen treibt, zeigt das iPad, apple-passend überlebensgroß. Darunter schreien schwarze Buchstaben: 28. Mai. Das ist heute. Und deshalb stehen, nicht unweit des Plakatfloßes, etwa 200 Apple-Jünger im Charlottenburger Nieselmorgen vor hellen Scheiben, hinter denen die Schaukästen den Raum wirken lassen wie einen Spielzeugladen aus einer nahen Zukunft. Sie warten in andächtiger Ruhe, unter großen Regenschirmen mit Picknickkörben und Kaffeekannen darauf, dass sich die Schiebetüren endlich öffnen. Weil das aber noch dauert, vertreiben sie sich die Zeit, wie sich Apfelapostel eben so die Zeit vertreiben. Menschen schließen sich an iPods an, Finger wischen über vom Regen benetzte Displays und da man mit dem iPhone auch noch telefonieren kann und SMS schreiben und emailen sowieso, werden die Freunde darüber in Kenntnis gesetzt, dass man jetzt in der Schlange steht und, achja, dass es regnet. Die Stimmung ist das Gegenteil von "rofl" und nur bei ganz wenigen "lol". Hinter der Scheibe aber erwartet Jörg Mugke, General Manager bei Gravis, einen magischen Tag und ist auch jetzt schon "echt überrascht, dass so viele Leute gekommen sind." Das ist irgendwie, naja, sagen wir, magisch. Passt also.

Die Apple-Magie scheint jedenfalls zu wirken. Denn die Menschen stehen auch und vor allem wartend im Regen, weil Steve Jobs, der Mac-Gott, wieder einmal auf einen Berg in Kalifornien geklettert und mit einer Touchscreentafel aus Plastik herunter gekommen ist. Und weil das Grundkonzept des iKonsums das Sammeln ist, das Habenwollen, die haptische Befriedigung, die heute einsetzen wird, wenn sich das iPad, das seit Wochen schon als abstraktes Kunstgebilde virtuell durch das Netz und die Medien tanzt, gleich vor ihren Augen materialisiert. Also irgendwie Jobs für alle heute, und vielleicht würde die Schlange vor dem Store auch deshalb an einen Menschenwurm in einer beliebigen Berliner Agentur für Arbeit erinnern, wären da nur die iPads nicht.

Körper drücken sich in den scheinbar sakrosankten Weißraum des Ladens

Peter jedenfalls hat die erste Nummer gezogen und steht seit 5 Uhr früh vor der gläsernen Tür und wartet auf Einlass, auf sein ganz persönliches Kirchenasyl. Wie das so ist, der Erste zu sein, will man natürlich wissen, von einem, der ja der Erste ist. "Es ist scheiße und es ist kalt und ich will, dass es jetzt vorbei ist", sagt Peter. Aber es sei ihm schon wichtig gewesen. Nur campen, das hätte er jetzt doch für etwas übertrieben gehalten. Kurz danach muss er das Ganze noch einmal wiederholen und dann noch mal, und auch noch mal nach links lächeln, bitte. Danke. Sein Gesicht verschwindet hinter bunten Mikrofonpuscheln, als würde er eine Regierungserklärung abgeben. Rote Lämpchen blinken. Blitzlichtgewitter im Nieselregen macht den Hype um den Hype sichtbar.

Endlich iPad shoppen.

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Seit sechs stehen die ersten Kamerateams hier. Fotografen fotografieren und Radiomenschen führen Mikrofonmonologe. Ü-Wagen parken auf dem Bürgersteig. Der RBB ist gekommen, die Abendschau, Radio Eins natürlich auch und Energy 103,4 hat eine Praktikantin vorbei geschickt, die jetzt auch noch unbedingt O-Töne braucht. Es ist ja gleich Acht. Und so warten die einen darauf, dass sich die Türen öffnen, damit sie endlich das iPad in den Händen halten können und die anderen warten darauf, dass sich die Türen öffnen, damit sie die anderen dabei beobachten können, wie sie endlich das iPad in den Händen halten. Wer jetzt gerade, also so kurz vor Acht, wo es auch kaum noch O-Töne gibt, aufgeregter ist, kann man nicht wirklich sagen.

Schließlich aber öffnen sich die Türen des Gravis Store, wie angekündigt, pünktlich um Acht. Körper und Kameras drücken sich in den scheinbar sakrosankten Weißraum des Ladens. Peter schiebt sich an die Kasse, bekommt sein ganz persönliches iPad, 32 GB für 699 Euro, nicht feierlich aber immerhin: überreicht. Mit persönlicher Kennnummer, natürlich. Auch das gehört dazu, wenn man Teil der Apple-Familie ist. Und jetzt will er eigentlich nach Hause, versinkt aber erneut im Blitzlicht. Er legt die Tüte wieder ab und steht zwischen den Fotografen wie Kästners Kofirmand. Ganz geheuer ist ihm das alles nicht. Den iPad-Karton hält er aber bald in der Hand wie eine Kicker-Torjäger-Kanone, einen Lebenswerk-Bambi.

Noch ein Foto vor der Kasse, und eine Pose am Eingang, dabei muss er seine Erfolgsgeschichte in die Blöcke diktieren. 5 Uhr Morgens. In der Kälte. Erster. Immer und immer wieder. Der Hype um den Hype. Der Kunde als Star. Es ist sein Andy-Warhol-Moment. 15 Minuten später tritt er nach draußen. Jetzt könnte er das iPad eigentlich endlich in Ruhe ausprobieren. Doch daraus wird nichts. Gleich kommt noch ein Kamera-Team der Abendschau. Sie wollen eine Homestory machen. Aus gegebenem Anlass.

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