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Berlin: Isa Vermehren (Geb. 1918)

Ungehorsame Schülerin, Kabarettistin, Schulleiterin, Nonne.

Lübeck, 1. Mai 1933: „Feiertag der nationalen Arbeit“. Die Schüler marschieren über den Sportplatz. Vor der Tribüne sollen sie die Hand zum „deutschen Gruß“ heben. Das Mädchen vor Isa darf nicht. Sie ist nicht „arisch“. Isa darf, will aber nicht. Kurz darauf legt man ihr nah, die Schule zu verlassen. Eine gute Schülerin ist sie eh nicht, aufmüpfig noch dazu. Isas Eltern nehmen es gelassen. Sie wollen ohnehin fort aus Lübeck. In Berlin könnte die Tochter es im Kabarett versuchen, wo sie doch so kess zur Ziehharmonika singt.

„Die Katakombe“ kurz nach der Machtergreifung der Nazis, Werner Finck begrüßt die Gäste: „Die unruhigen Zeiten sind nun vorbei, man kann wieder auf Jahrtausende disponieren.“ Kurz darauf steht Isa mit ihrer Knautschkommode „Agathe“ auf der Bühne: „Eine Seefahrt, die ist lustig. Eine Seefahrt, die ist schön. Ja, da kann man unsere Leute an der Reling kotzen seh’n.“ Das Publikum ist begeistert. Bald sitzen Gestapo-Spitzel in der „Katakombe“ und notieren mit. Finck fragt freundlich: „Spreche ich zu schnell? Kommen Sie mit? Oder soll ich mitkommen?“

Als Isa am 10. Mai 1935 in die Lutherstraße kommt, ist „Die Katakombe“ verrammelt, Werner Finck verhaftet, eine der letzten Bastionen der einst legendären Berliner Kleinkunstszene als „Schmusetempel“ der „krummnasigen Jünglinge mit Intelligenzbrille“ ausgelöscht.

Isa, das rothaarige Energiebündel, bringt es dennoch schnell zum Star. In Filmen belustigt sie das Volk Seite an Seite mit Sybille Schmitz („Musik im Blut“) oder Max Schmeling („Knock out“). Als Isa aber 1936 im Hamburger „Covent Garden“ mal wieder ihr Seefahrt-Lied anstimmt, grölen organisierte Störer sie von der Bühne.

Isa will kein Rädchen im Getriebe sein. Auf stundenlangen Spaziergängen durch den Grunewald fragt sie sich, wofür es sich lohnt zu leben. Sie befasst sich mit Religion und Philosophie und macht auf dem Abendgymnasium das Abitur. Bei einer Party lernt sie Elisabeth von Plettenberg kennen. Beim Abschied bittet Isa die anmutige, geschliffen für den Katholizismus argumentierende Gräfin, sie „zu Gott zu führen“. Und Elisabeth unterrichtet Isa und ihren Bruder Erich in Fragen des Glaubens. 1938 konvertieren die Geschwister. Erich hält erfolgreich um die Hand der Gräfin an.

Isa verlobt sich mit dem Architekten Karl Beutler. Beide schwanken, ob sie heiraten oder ihr Leben als Priester und Nonne ganz dem Glauben weihen sollen. Die Entscheidung fällen andere: Karl wird eingezogen und bleibt im Krieg.

Als sich Isas Bruder Erich mit Elisabeth nach England absetzt, ahnt er nicht, was das für seine Familie bedeutet. Isa, ihr Bruder Michael und ihre Eltern kommen ins KZ. Sippenhaft.

Isa wird zunächst nach Ravensbrück gebracht. Sie ist privilegiert: Einzelzelle, kein Arbeitsdienst. Sie betet viel und muss erleben, wie andere Häftlinge gezwungen werden, andere auszupeitschen, in der Hitze „strafestehen“ oder an Experimenten mit Gasbrandbazillen verrecken. In ihren Aufzeichnungen „Der letzte Akt“ schreibt Isa später über die Versuchung wegzusehen: „Das wäre der erste Schritt zu jener Stumpfheit gewesen, die gleichzeitig auch zur Dummheit führt.“ Isa versucht zu begreifen, wie Gottes Ebenbild in den Fratzen der Täter und Opfer zu finden sein soll. „Wie wohlbegründet ist diese Furcht, so einem schrecklichen Bilde des Menschen zu begegnen … muss man doch gewärtig sein, in ihm auch das Spiegelbild des eigenen Gesichts zu finden.“ Die Erkenntnis führt Isa nicht in die Verzweiflung sondern stärker zum Glauben. „Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“ stellt sie ihrem Buch voran, das im Nachkriegsdeutschland zum Bestseller wird.

Die Vermehrens treffen sich im zerbombten Hamburg wieder. Isa will jetzt Nonne im Sacré Cœur werden. Der Orden lehnt ab: „Lernen Sie erstmal was.“ Sie studiert in Bonn Englisch, Deutsch, Geschichte und Philosophie, wird endlich im Herz-Jesu-Kloster in Pützchen aufgenommen und als Lehrerin im St. Adelheid Gymnasium eingesetzt. Schon das Studium gleicht einer Herausforderung, soviel tobt in der jungen Frau. Die soldatische Strenge des Klosterlebens, die vollständige Unterwerfung erweist sich als noch härter. Immer wieder prüft Isa sich selbst und verzweifelt fast. Im Kloster ist Kritik tabu, auch das Sprechen über sich selbst und die Vergangenheit. In ihr Tagebuch notiert sie über den „geistlichen Snobismus“: „Der tiefste Grund liegt meiner Meinung nach darin, dass wir einfach zu dumm sind.“

Isa hält sich für keine gute Lehrerin: zu unsystematisch, zu ungeduldig. Dennoch steigt sie bis zur Direktorin auf. Schülerinnen beschreiben sie als liebevoll, autoritär, fordernd, lustig und nie langweilig. In den Ansichten konservativ, in der Haltung zu Menschen liberal, wirkt Isa mit ihrer Lebenserfahrung und ungebrochenen Heiterkeit wie ein Magnet. Das ändert sich auch nicht in Hamburg, wo sie seit 1969 die Sophie-Barat-Schule leitet. Die Zeiten aber ändern sich. Vor allem das zweite vatikanische Konzil bringt Isas stabile Welt zeitlos wirkender Riten und Werte ins Wanken. Manche Nonnen verzichten bereits auf den Habit. Isa trägt ihn nun erst recht.

Nach der Pensionierung bleibt sie als Rednerin und Buchautorin gefragt. Hin und wieder spricht sie das „Wort zum Sonntag“. Auf einem Youtube-Video sieht man Isa im Interview mit zwei Sextanerinnen. Auf die Frage, warum sie in den Orden gegangen sei, antwortet sie: „Mein liebes Kind, das war der Wille Gottes. Meiner war es bestimmt nicht. Aber wenn es dann gelingt …“, Isa schlägt mit der Hand auf die Stuhllehne, „ … dann ist es wunderbar.“ Anselm Neft

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