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Kipti

© Dirk Laessig

Islam: Geistlicher Ratgeber in weltlichen Dingen

Imame sollen künftig Fortbildungen über deutsche Kultur und Geschichte erhalten - ein sinnvolles Angebot, sagt Scheich al Kibti.

Zum Mittagessen bleibt keine Zeit. Die Männer, die den Imam an diesem Freitagmittag um Rat bitten, stehen Schlange vor dem kleinen Büro in der Drontheimer Straße in Wedding. Zwischen den Beratungsgesprächen holt Scheich Anwar al Kibti, einer der beiden Imame des „Interkulturellen Zentrums für Dialog und Bildung“ (IZDB), tief Luft. Aber schon in der nächsten Sekunde lächelt er wieder freundlich und bittet einen weiteren Ratsuchenden zu sich.

Seit drei Jahren ist der 47-jährige große, rundliche Mann als Imam bei der deutsch-arabischen Moscheegemeinde IZDB angestellt, seit acht Jahren lebt er in Deutschland. Er stammt aus Libyen, hat im saudi-arabischen Medina studiert und etliche Jahre als Imam in Sao Paulo gearbeitet. Wer nicht Arabisch spricht, kann sich auf Englisch oder Portugiesisch mit ihm unterhalten. Deutsch spricht er kaum. Deshalb hat Faical Salhi, der Vorstandsvorsitzende des Zentrums, für Herbst einen Intensivkurs Deutsch für ihn an der Volkshochschule gebucht.

Faical Salhi und der Imam freuen sich über den Plan des Senats, Berlins Imame künftig in einem Fortbildungskurs Wissen über die Geschichte und die Verwaltungsstrukturen der Stadt zu vermitteln. Die Geistlichen sollen zum Beispiel lernen, wie das Schulsystem funktioniert und wie man einen Ausbildungsplatz oder eine Stelle findet, wer bei Gewalt in der Familie hilft oder Beratung bei Drogenproblemen gibt. Die Kurse sollen im kommenden Jahr beginnen, die Teilnahme ist freiwillig. Im Moment erarbeitet der Integrationsbeauftragte des Senats gemeinsam mit der Muslimischen Akademie die Details.

So ein Kurs wäre sinnvoll, sagt Scheich al Kibti. „Immer mehr bitten mich bei ganz alltäglichen Problemen um Hilfe.“ Jeden Tag kommen Menschen in die vierstündige Sprechstunde, viele rufen ihn auf dem Handy an. Freitags, vor und nach dem Gebet stünden sie Schlange. Das IZDB versucht zu helfen, wo es geht. Mit Deutsch-, Näh- und Kosmetikkursen soll vor allem Frauen der Einstieg ins Berufsleben leichter gemacht werden, am schwarzen Brett hängen die Nummern von Schulverwaltung, Jobcenter, von Polizei und Quartiersmanagement. Nicht immer wisse er gleich eine Antwort, sagt der Imam. Die kulturellen Unterschiede zwischen Berlin und den arabischen und nahöstlichen Ländern, aus denen er und viele andere Berliner Imame kommen, seien doch groß.

Der junge Mann, der jetzt neben al Kibti steht und nervös an den Fingernägeln knibbelt, sagt, dass ihm jemand einen Job in einem Restaurant angeboten habe – schwarz. Ob er den annehmen dürfe? Nein, sagt der Geistliche. Wenn er im Restaurant arbeite, müsse er das den Behörden melden. Bestehe der Restaurantbesitzer auf dem illegalen Arbeitsverhältnis, müsse er sich etwas anderes suchen. Dass in Deutschland zwischen legaler Arbeit und illegaler Schwarzarbeit unterschieden wird, habe er selbst erst lernen müssen, sagt al Kibti später. In Saudi-Arabien oder den Emiraten zum Beispiel gebe es so etwas nicht.

Jetzt ist ein Anfang Zwanzigjähriger dran. Er ist in Berlin aufgewachsen und Student. Er rafft das Arabisch zusammen, das er von seinen Eltern gelernt hat, und fragt den Scheich, ob er im Studentenwohnheim seine Lebensmittel im gleichen Kühlschrank aufbewahren kann wie seine Kommilitonen ihr Bier und Schweinefleisch. Der Imam sagt, dass er als gläubiger Muslim keinen Alkohol trinken und kein Schweinefleisch essen dürfe. Wo und wie er Lebensmittel aufbewahre, sei egal. Der Student dürfe auch sehr wohl mit seinen Kommilitonen in einem Raum essen, auch wenn die anderen Schweinefleisch essen. Doch sei es wohl besser, wenn er sich von Trinkgelagen fernhalten würde. Der Student nickt, verbeugt sich höflich und geht. Ein grauhaariger Mann hat Probleme mit seinem Sohn. Der trinke Alkohol und lebe unverheiratet mit seiner Freundin zusammen. Ob er den Kontakt zu ihm abbrechen soll? Wie kann er ihn zur Tugend zurückzubringen? Auf keinen Fall die Verbindung abreißen lassen, rät der Scheich, geduldig sein, mit dem Sohn reden. Und bitte keine Gewalt anwenden!

Oft wollen Eltern wissen, was sie mit den Söhnen machen sollen, die in der Schule so schlecht sind. Er spreche mit den Kindern, versuche ihnen klarzumachen, dass sie ohne gute Schulbildung keine Chance hätten. Manchmal nutze es etwas. Ein paar Mal seien auch schon Eltern gekommen, sagt der Imam, die völlig verzweifelt waren, weil die Kinder in die Drogenszene abgedriftet und kriminell geworden seien. Wenn nichts mehr helfe, dann rate er den Eltern, die Jugendlichen bei der Polizei anzuzeigen, auch wenn es die eigenen Kinder seien. „Wenn sie zum Beispiel Drogen verkaufen, dann gefährden sie andere. Die muss man schützen.“ Der Scheich findet aber auch, dass die Polizei zu lax mit Drogendealern umgeht. Die müssten einen verhaften dürfen, wenn sie sehen, wie gedealt wird, und nicht warten, bis sie einen mit Päckchen erwischen.

Es ist 13.30 Uhr. Der Imam eilt in den Moscheeraum und ruft zum Gebet. Die Büroetage füllt sich. Vielleicht 700 ältere und junge Männer, an der Hand ein paar kleine Jungen, strömen herbei, in der Etage darunter beten ein paar Dutzend Frauen. Al Kibti redet ihnen auf Arabisch ins Gewissen, dass man Behinderte nicht ausgrenzen, sondern als gleichwertig akzeptieren soll. Einige Beter ziehen sich Kopfhörer auf und folgen der deutschen Simultanübersetzung. Nach Predigt und Gebet ist der Imam erst recht umringt. Einer will wissen, ober er einen Bankkredit aufnehmen kann, um ein Haus zu kaufen. Das islamische Recht untersagt Muslimen festverzinsliche Darlehen. „Aber wenn es gar keinen anderen Weg gibt, ist es unter Umständen doch erlaubt“, sagt der Imam. Ein anderer fragt, ob der Imam seine Scheidung vor einem weltlichen Gericht anerkennt.

Frauen würden ihn eher anrufen als herkommen. So manche habe ihn schon um Hilfe gebeten, weil ihr Mann sie und die Kinder schlage. Oft seien die Mentalitäten zu unterschiedlich, sagt der Imam, besonders wenn der Mann aus dem Nahen Osten komme und eine Frau hier heirate. Gewalt in der Familie sei im Islam absolut verboten. Wenn man einem Mann nachweisen könne, dass er seine Frau schlage, könne man ihn nach islamischem Recht hinter Gitter bringen. Er rede mit den Männern, sagt der Imam. Aber manchmal habe er Frauen auch schon zur Scheidung geraten.

Für den Deutschkurs im Herbst und den Fortbildungskurs des Senats wird der Imam sich Zeit nehmen. Er habe zwar schon viel gelernt über die politischen Strukturen, die Parteien und die deutsche Geschichte. „Aber warum gibt es hier so wenig Kinder? Wie ist das gekommen, dass für die Deutschen Kinder eine Last sind?“ Er schüttelt den Kopf. Vieles ist ihm in Deutschland immer noch ein Rätsel.

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