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Berlin: Jeder nur ein Kreuz

Die Bundestagswahl hat bereits begonnen. Viele wollen per Post abstimmen.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Fünf Wochen noch bis zur Bundestagswahl? Von wegen! Schon jetzt haben in Berlin bereits 30 000 Berliner einen Antrag auf Briefwahl gestellt. Es ist damit zu rechnen, dass bis zum 22. September etwa 30 Prozent der hauptstädtischen Wähler nicht in der Wahlkabine, sondern zu Hause auf dem Sofa ihr Kreuzchen machen. Und dann – ab die Post!

Für eine gewichtige Minderheit der Wähler ist die teure Wahlwerbung der Parteien also ziemlich nutzlos. Sie haben bereits entschieden, von wem sie im Bundestag vertreten werden möchten und die Stimmzettel ausgefüllt, die seit Wochenbeginn mit den Briefwahlunterlagen zugeschickt werden. Noch bis 20. September, 18 Uhr, dem Freitag vor der Bundestagswahl, kann jeder wahlberechtigte Bürger einen Wahlschein beantragen. „Für die Wahrung des Wahlgeheimnisses und der Wahlfreiheit in ihrem persönlichen Bereich haben die Wähler selbst Sorge zu tragen“, mahnt Landeswahlleiterin Petra Michaelis-Merzbach. Wahlbetrug ist eine Straftat, die mit bis zu fünf Jahren Haft geahndet werden kann.

Für Bundestagswahlen ist die Briefwahl seit 1957 erlaubt. Zehn Jahre später wurde sie auch für die Abgeordnetenhauswahl in Berlin zugelassen. Zunächst nur „aus wichtigem Grund“. Dazu gehörten hohes Alter, berufliche Zwänge oder Krankheit. Dies musste, per Unterschrift auf dem Antrag, glaubhaft gemacht werden. Kontrollieren ließ sich aber nicht, ob die angegebenen Gründe tatsächlich stimmten. Deshalb müssen die Wähler seit 2008, jedenfalls bei Bundestags- und Europawahlen, die Wahl per Brief auch nicht mehr begründen.

Das Bundesverfassungsgericht hat die Briefwahl in mehreren Urteilen seit 1967 für rechtens erklärt. Zuletzt in einer Entscheidung vom 9. Juli 2013, die kaum zur Kenntnis genommen wurde. Die Grundsätze der Freiheit, Geheimheit und Öffentlichkeit der Wahl würden durch die Stimmabgabe in den eigenen vier Wänden „nicht unverhältnismäßig eingeschränkt“, urteilten die Richter. Sie rechnen derzeit nicht damit, dass die Briefwahl in Deutschland so zunehmen wird und damit das „Leitbild der Urnenwahl“ in Gefahr geraten könnte.

Die Frage ist nur, wie lange diese Einschätzung noch richtig ist. Seit 1957 stieg der Anteil der Briefwähler bundesweit von 4,9 Prozent auf 21,4 Prozent bei der Bundestagswahl 2009. Bei der Abgeordnetenhauswahl 2011 entschieden sich 27,6 Prozent der Wähler für die Stimmabgabe per Post. Bei der Hamburger Bürgerschaftswahl vor zwei Jahren waren es sogar 30,8 Prozent. Solche Briefwahlquoten wurden in der Hauptstadt in Steglitz-Zehlendorf (32,4 Prozent) und Charlottenburg-Wilmersdorf (31,2 Prozent) 2011 noch übertroffen. Beide Bezirke liegen auch jetzt bei den Anträgen für die Briefwahl wieder weit vorn. Die Schlusslichter sind traditionell Marzahn-Hellersdorf, Lichtenberg und Treptow-Köpenick. Ulrich Zawatka-Gerlach

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