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«Hande weg vom Volksentscheid»: Demonstranten am Tempelhofer Feld.

© dpa

Wahl-Serie: Demokratie: Jetzt entscheide ich

Die Zeit des Durchregierens ist vorbei. Die Bürger wollen beteiligt werden, doch oft geht das schief. Am Ende stehen der Protest und ein Volksbegehren. Das Verhältnis zwischen direkter und repräsentativer Demokratie muss neu justiert werden.

Sommerpause? Die drei Frauen lächeln in die Sonne über dem Kottbusser Tor. „Nach der Sammlung ist vor der Sammlung“, sagt Mareike Witt, die als Pädagogin arbeitet und nebenher das Tempelhofer Feld gerettet hat. Vor den Plänen des Senats, es teilweise zu bebauen. Jetzt will sie es zusammen mit einem Team aus 30 Aktivisten wieder retten, mit einem erneuten Volksentscheid, der verhindern soll, dass das Abgeordnetenhaus den ersten Entscheid mit einfacher Mehrheit wieder kippen kann. Die Machtbalance zwischen direkter und repräsentativer Demokratie würde zugunsten der direkten verschoben. Zurzeit arbeiten die Aktivistinnen an einem Finanzierungskonzept für die anstehende Kampagne.

Die erste wichtige Hürde ist genommen. Rund 70 000 Unterschriften haben die Volksentscheidretter gesammelt, 58 000 davon wurden anerkannt. Jetzt prüft der Senat, ob das Begehren rechtlich zulässig ist. Im Februar 2017 soll die entscheidende Phase, die Sammlung von rund 500 000 Unterschriften, starten, sagt Witts Mitstreiterin Kerstin Meyer.

Eine halbe Million Unterschriften, das hat noch keine Initiative geschafft. War auch nicht nötig, denn normalerweise reichen rund 170 000. Dieser Volksentscheid will aber zwei Artikel der Berliner Verfassung ändern. Deshalb liegt die Latte deutlich höher.

Alle an einen Tisch

Warum sie ihre politischen Ziele nicht über die Mitarbeit in Parteien zu erreichen versuchen, erklärt Kerstin Meyer, die in der Entwicklungshilfe arbeitet, mit der Vertrauenskrise des etablierten politischen Systems. Auch sie misstraut dem Machtgefüge einer Koalitionsregierung.

Besonders in Zeiten großer Koalitionen, in denen Oppositionsparteien oft nicht einmal ausreichende Rechte zur Berufung von Untersuchungsausschüssen eingeräumt bekommen, sind wachsame Augen engagierter BürgerInnen lebenswichtig.

schreibt NutzerIn W.Wang

Dort würden politische Überzeugungen oft zugunsten von „Deals“ aufgegeben. Auch über das Tempelhofer Feld habe es innerhalb der rot-schwarzen Koalition keine offene Debatte gegeben. Die SPD wollte die Randbebauung in Verbindung mit Gartenschau und Bauausstellung – und setzte sie durch. Dass es zuvor schon eine intensive Bürgerbeteiligung gegeben hatte, mit unterschiedlichen Vorschlägen, vom Badesee bis zum Vergnügungspark, spielte keine Rolle mehr. Viele Feldliebhaber fühlten sich an der Nase herumgeführt und waren schnell bereit, das Volksbegehren von 2014 zu unterstützen.

Seither gilt die Bürgerbeteiligung zum Tempelhofer Feld als Blaupause, wie man es nicht machen sollte. Nach den Erfahrungen von Stuttgart 21 stellte der CDU-Politiker Heiner Geißler vier Thesen auf: Alle an einen Tisch. Alle Fakten auf den Tisch. Alles auf Augenhöhe. Totale Transparenz. Vier einfache Regeln für eine erfolgreiche Bürgerbeteiligung, doch in der Praxis wird dieses Ideal selten erreicht.

Alles auf Augenhöhe?

Schon die Frage, wer alle ist, ist schwer zu beantworten. Zu den brisanten Standortentscheidungen für Flüchtlingsheime wird nicht mehr öffentlich eingeladen, damit keine Störer aus der rechts- oder linksextremen Szene die Versammlung sprengen. Alles auf Augenhöhe? Bei den umstrittenen Bauprojekten Mauerpark und Kleingartenkolonie Oeynhausen hatte sich der Senat mit dem Verweis auf finanzielle Risiken und vertragliche Verpflichtungen auf die Seite der Investoren geschlagen, die aus dem Protest erwachsene Bürgerbeteiligung erzielte nur noch Kompromisse. Der Protest unter dem Schlachtruf „Mediaspree versenken“ mündete in einen erfolgreichen Bürgerentscheid, der sich aber nur noch teilweise umsetzen ließ, denn die meisten Grundstücke an der Spree hatten längst Baurecht.

Bei der Historischen Mitte wollte der Senat schließlich alles richtig machen. Eine halbe Million Euro wurde für die Bürgerbeteiligung bereitgestellt, eine erfahrene Agentur übernahm die Umsetzung. Ergebnisoffen sollte der Dialog sein, vor Missbrauch und Manipulation durch einen Beirat geschützt, mehrgleisig mit Bürgerwerkstätten, offenen Foren und Internetdialog. Und sogar innovativ, mit einer Theaterperformance und Vor-Ort-Erkundungen

Heraus kamen zehn Leitlinien zum Umgang mit der Mitte, die sofort Kritik bei denen auslösten, die sich übergangen fühlten: Anhänger einer Bebauung nach historischem Vorbild. Die Stadtplaner und Architekten hatten schon vorab das aufwendige Verfahren als beliebig und wissenschaftsfeindlich abgelehnt. Sie fordern einen zweiten Durchgang. Doch erst mal entscheidet das Parlament, was es von den Leitlinien hält. Anschließend soll die internationale Fachwelt zu einem Wettbewerb eingeladen werden. Am Ende wird es einen Entwurf geben, der der Öffentlichkeit präsentiert wird. Und der womöglich den nächsten Proteststurm samt Volksbegehren auslöst.

Beteiligung kostet Zeit und Geld

Muss nicht sein, sagt Andreas Paust, Beteiligungsfachmann der Bertelsmann-Stiftung. Er hält die Historische Mitte für ein gelungenes Beispiel von Bürgerbeteiligung. Es komme allerdings darauf an, jetzt nicht einfach aufzuhören. Die Beteiligung müsse den Prozess bis zur konkreten Planung weiter begleiten. Das koste in jedem Fall Geld und Zeit, doch im Gegenzug spare man sich langwierige Gerichtsverfahren, die kontroverse Vorhaben üblicherweise nach sich ziehen. Klar müsse sein, dass ein solcher Prozess immer auf Kompromisse ziele, die Fundamentalkritiker ließen sich mit einem Beteiligungsverfahren kaum besänftigen. „Für die ist dann eher ein Volksentscheid die Lösung“, sagt Paust.

Bei der Bürgerbeteiligung gibt es kein Zurück mehr, das haben inzwischen alle Politiker verstanden. Nur die Dynamik, in der Partizipation in den Alltag der Verwaltungen einzieht, ist sehr unterschiedlich. Berlin liegt im Vergleich eher im Mittelfeld der Bundesländer. In Baden-Württemberg gibt es ein „Beteiligungsscoping“. Noch bevor ein Projekt startet, setzen sich Investor, Planer und Verwaltung zusammen, um den Rahmen für das Beteiligungsverfahren abzustecken. Rheinland-Pfalz hat sich ein Transparenzgesetz verordnet, das den Ämtern vorschreibt, relevante Dokumente und Gutachten ins Netz zu stellen und von den Bürgern kommentieren zu lassen.

CDU, Grüne und Linke wollen die Bürgerbeteiligung in Berlin weiter ausbauen, die SPD verhält sich eher abwartend. Das liegt auch daran, dass im SPD-geführten Bauressort die meisten Initiativen auf Mitsprache pochen oder Projekte rundweg ablehnen. Der Senat hat deshalb größere Bauvorhaben an sich gezogen und so den Widerstand vor Ort gebochen. Bürgerbegehren wie bei den Buckower Feldern in Neukölln oder dem Mauerpark in Mitte liefen ins Leere. Das Argument ist dasselbe wie im Fall Tempelhofer Feld: Gesamtstädtisches Interesse geht vor Partikularinteressen.

Dieser Text ist Teil unserer Serie Berlin Wahl 2016. In der letzten Folge diskutieren wir Wahlfragen rund um das Thema Demokratie. Wie die Parteien für mehr Demokratie sorgen wollen, lesen Sie hier. Was ein Politkwissenschaftler zum Verhältnis von direkter und indirekter Demokratie sagt, lesen Sie hier.

Weitere Folgen: Wohnen, KinderGesundheitKlima,, Verkehr, Sicherheit, Integration,, Wirtschaft, und Ämter.

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