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Am historischen Ort. Auf dem Hof in der Brunnenstraße 188/190 erinnert nur noch wenig an die Firma „Weinbergers Butter“. Historiker Christoph Kreutzmüller hat dokumentiert, wie diese und andere jüdische Firmen von den Nazis liquidiert wurden.

© Mike Wolff

Jüdische Unternehmer in Berlin: Boykottiert, geplündert, liquidiert

Christoph Kreutzmüller hat die Geschichte jüdischer Unternehmer in Berlin dem Vergessen entrissen.

Draußen lärmt der Verkehr auf der Brunnenstraße, doch der Krach verebbt, sobald man den Hof in der Nummer 188/190 betritt. Früher war das anders. Da fuhren Lastwagen ein und aus, wuchteten Arbeiter schwere Fässer auf die Ladeflächen. Es herrschte geschäftiges Treiben. „Hier residierte in den 1920er und 1930er Jahren Berlins größte Butterhandlung“, sagt Christoph Kreutzmüller und zeigt auf ein Schwarz-Weiß-Foto von 1935 von „Weinbergers Butter“. Drei Jahre später war das jüdische Unternehmen bankrott, geplündert und in Liquidation. „Die Anfeindungen der Nationalsozialisten waren auf Dauer zu heftig“, sagt Kreutzmüller.

Der Historiker hat die Geschichte der jüdischen Gewerbetätigkeit in Berlin untersucht, die bei den Novemberpogromen 1938 ein so brutales Ende fand. Anfang der 30er Jahre gab es in der Reichshauptstadt rund 50 000 jüdische Betriebe – etwa die Hälfte aller jüdischen Unternehmen in Deutschland. Dann begann die Verfolgung durch die Nazis. „Wer nicht rechtzeitig floh, wurde deportiert und ermordet“, sagt Kreutzmüller.

Die Spuren jüdischer Betriebe sind heute aus dem Stadtbild fast völlig verschwunden. Viele Gebäude wurden im Krieg zerstört. Wo Gebäude noch vorhanden sind, wurde saniert, so dass nichts an früher erinnert. Der Altbau in der Brunnenstraße 188/190 ist eine Ausnahme. Die großen Fenster, die weißen Fliesen – vieles im Hof sieht aus wie zu Zeiten der Gebrüder Weinberger. Heute hat die Senatskulturverwaltung hier ihre Büros; ab und zu tritt ein Angestellter für eine Zigarettenpause heraus.

Sieben Jahre hat Kreutzmüller in Archiven, Bibliotheken und Handelsregistern recherchiert, wo in Berlin einst jüdische Unternehmen saßen. Einen ersten Einblick gab es 2008 in der Ausstellung „Verraten und verkauft“, in Zusammenarbeit mit dem Aktiven Museum. Jetzt legt der 44-Jährige das Gesamtergebnis als Buch vor. „Ausverkauf. Die Vernichtung der jüdischen Gewerbetätigkeit 1930 – 1945“ heißt der Band. Hermann Simon, Direktor des Centrum Judaicum, spricht im Vorwort von einer „Pflichtlektüre“, zeige das Buch doch einen wichtigen Aspekt der Verfolgung der deutschen Juden vor und nach 1938.

Allein in der Brunnenstraße zählte Kreutzmüller 45 Betriebe, die von den Nazis als jüdisch betrachtet und liquidiert oder an „arische“ Unternehmer verkauft wurden. Viele waren Kleinbetriebe, die den Schikanen nichts entgegensetzen konnten. „Die Butterhandlung der Gebrüder Weinberger war ein Sonderfall“, sagt der Forscher. Zwar hatte der Betrieb ab 1933 mit Boykotten zu kämpfen. Dank Kontakten zum britisch-niederländischen Unilever-Konzern und zur polnischen Botschaft – Adolf, Israel und Salomon Weinberger kamen aus Galizien – konnte sich das Unternehmen aber zunächst halten. Auch vertrieb es seine Waren über Tochterfirmen wie Otto Thürmann und war von außen nicht gleich als jüdischer Betrieb zu erkennen.

Also setzten die Nazis perfide Maßnahmen in Gang, wie Kreutzmüller im Buch schreibt. „Den Startschuss zur Verfolgung gab am 10. August (1935) der Angriff mit einem langen Schmähartikel unter der Überschrift ,Der getarnte Jude‘. Tenor war, dass die Weinbergers Lieferanten wie Kunden über den jüdischen ,Charakter‘ des Unternehmens täuschten.“ Der Bericht des NS-Hetzblatts „Der Angriff“ veranlasste rund 100 Molkereien, die Verträge mit den Weinbergers zu kündigen. Später erhob der Berliner Polizeipräsident den Vorwurf, die Butterhandlung betreibe Etikettenschwindel und verkaufe Molkereibutter als edle Markenbutter. „Butterwucherer“, zürnte daraufhin die „Berliner Morgenpost“. Gegen die Gebrüder Weinberger erging Strafbefehl, beide kamen Haft. Nach ihrer Entlassung mussten sie feststellen, dass ihr Betrieb geplündert worden war, der gesamte Fuhrpark war weg. Salomon Weinberger konnte nur noch die Liquidation des Unternehmens besorgen, bevor er im September 1938 in die USA emigrierte. Viele andere jüdische Unternehmer starben später in Konzentrationslagern. „1941 begann die massenhafte Deportation“, sagt Kreuzmüller.

Sein Buch stellt der Historiker, der an der Humboldt-Universität lehrt, offiziell am 20. November im Centrum Judaicum in der Oranienburger Straße vor. Aufschlussreich ist zudem die Datenbank, die Kreutzmüller zusammengestellt hat. Sie listet über 8000 ehemalige jüdische Betriebe in Berlin nach Stadtteilen und Branchen auf und ist öffentlich zugänglich. So kann jetzt jeder Berliner nachsehen, wo in seinem Kiez einst jüdische Geschäfte waren: Von den „Adams Cigarrenfabriken“ in der Münzstraße in Mitte bis zum „Radio-Vertrieb Zuckermann“ an der Tauentzienstraße – die Datenbank ist voller historischer Stolpersteine. Das Kapitel des jüdischen Gewerbes in Berlin sei lange geschlossen gewesen, sagt Kreutzmüller. „Ich wollte es wieder aufschlagen.“

Christoph Kreutzmüller: Ausverkauf. Die Vernichtung der jüdischen Gewerbetätigkeit in Berlin 1930–1945, Metropol Verlag 2012, 427 Seiten, 24 Euro. Die Datenbank mit über 8000 ehemaligen jüdischen Betrieben ist im Internet unter der Adresse www2.hu-berlin.de/djgb zu finden.

Haiko Prengel

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