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Berlin: Jüdisches Museum: Eine Urkunde für die Zeugnisse des Lebens

Ilse Jacobson sitzt ganz am Rand des großen Empfangssaals im Roten Rothaus, in sich zusammen gesunken klammert sie sich an eine kleine Tasche. Sie hat ein rot-weißes Kleid mit Streublumen an und unter ihrer hautfarbenen Strumpfhose schlägt ein Verband einen Wulst.

Ilse Jacobson sitzt ganz am Rand des großen Empfangssaals im Roten Rothaus, in sich zusammen gesunken klammert sie sich an eine kleine Tasche. Sie hat ein rot-weißes Kleid mit Streublumen an und unter ihrer hautfarbenen Strumpfhose schlägt ein Verband einen Wulst. "Du bekommst eine Chance", sagt sie und blickt mit klaren Augen durch ihre Brille. "Aber dein Granddad nicht." Ilse Jacobson ist 81 Jahre alt, wohnt in einem Altersheim in Oak Park, USA, und nur den jüngeren deutschen Generationen wird ihre Sympathie zuteil. Ihre Geschichte erzählt die alte Dame verworren: 1938 Flucht vor den Nazis nach Kuba, von dort aus mit dem Schiff nach New York, irgendwann dann Chicago. Lehrerin für Deutsch und Spanisch. Ilse Jacobsons Lebensgeschichte ist inzwischen archiviert - auf mehreren Videobändern von Steven Spielbergs Shoah Foundation. Und jetzt ist die gebürtige Berlinerin und einzige Überlebende ihrer Familie für ein paar Tage in ihre Heimatstadt zurückgekehrt, um sich das Jüdische Museum anzusehen - begleitet wird sie von ihrer Freundin Claire Warren, ohne die Ilse Jacobson die weite Reise nicht mehr gewagt hätte. Dem Jüdischen Museum hatte die Lehrerin, die jetzt ihren Freundinnnen im Altersheim Deutsch und Spanisch beibringt, ihre Familienpapiere überlassen: Geburtsurkunden, Zeugnisse und einen Stammbaum. "Das hier scheint mir ein guter Ort dafür zu sein", sagt sie "Nach meinem Tod hätte das Altersheim die Sachen sowieso verbrannt."

Zum Thema Fototour: Das Jüdische Museum in Bildern Zu dem Empfang für die Stifter und Leihgeber des Jüdischen Museums einen Tag nach dessen Eröffnung kam neben Klaus Wowereit auch der Leiter des Museums, Michael Blumenthal. Blumenthal bedankt sich mit sehr herzlichen Worten und betont, dass die Ausstellung ohne die Großzügigkeit der gut 800 Stifter nicht zustande gekommen wäre. "Die Fotos, Textilien und alle anderen Objekt auch haben einen sehr tiefen, symbolischen Wert", sagt Blumenthal. Auch Alexander Brenner, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Berlin, kam zum Empfang.

Einen der weitesten Wege aber hatte der 85 Jahre alte Wolfgang Neubauer zurückgelegt - er kam extra aus Santiago de Chile, gemeinsam mit Tochter und Enkeltochter. Neubauer, der bis zum zwanzigsten Lebensjahr in Berlin lebte und in Oberschöneweide bei einer Auto-Firma arbeitete, stiftet neben vielen anderen Dokumenten auch das seiner Bar Mitzwa. "Bevor die Sachen im Altpapier landen, finde ich, dass sie im Museum besser aufgehoben sind", sagt Wolfgang Neubauer mit kokettem Augenaufschlag. "Ich bin doch bloß ein alter Mann." Seine Stiftungs-Urkunde hält der Exil-Chilene so fest in der Hand, dass das Papierstück nach Wowereits Rede schon ganz zerknittert ist. Nach einem Rundgang durch das Jüdische Museum in Kreuzberg will Familie Neubauer Verwandte in Hamburg und einen Berliner Ruderverein besuchen - Neubauer ist noch immer Mitglied.

Esther Kogelboom

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