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Jürgen Zöllner: ''Es geht um eine faire Chance für alle"

Bildungssenator Jürgen Zöllner verteidigt seinen Vorschlag, die Hälfte der Plätze an beliebten Schulen zu verlosen und ein Probejahr einzuführen.

Herr Zöllner, Sie wollen bei beliebten Schulen die Hälfte der Plätze verlosen, wenn es zu viele Anmeldungen gibt. Deshalb ist der Eindruck entstanden, Sie wollten diese Schulen kaputt machen.



Das Gegenteil ist der Fall. Die stark nachgefragten Schulen haben künftig den Vorteil, dass sie die Hälfte ihrer Schüler selbst aussuchen können.

Aber warum dieser radikale Weg der Verlosung? Warum kein Mittelweg zwischen einem harten Numerus clausus und einem Losverfahren?

Mein Konzept vereint diese beiden sich widerstrebenden Wege, weil einerseits die Schulleiter Schüler aussuchen können und andererseits auch die Chancengerechtigkeit gewährleistet ist. Zudem gibt es über das Probejahr die Möglichkeit der Fehlerkorrektur.

Warum kann man die Fehlerquote nicht im Vorfeld reduzieren? Warum sollen auch gänzlich ungeeignete Schüler in den Lostopf?

Sicherlich kann man das anders regeln. Man kann eine Aufnahmeprüfung machen. Aber das halte ich für nicht so gut. Ich halte das Probejahr für ein faires Angebot im Sinne des Kindes, aber auch des Gymnasiums. Egal wie Sie einen Notendurchschnitt setzen: Sie werden eine große Anzahl von jungen Menschen unfair behandeln.

Ist es nicht eher ein Unglück für Kinder, wenn sie mit schlechten Leistungen auf das Gymnasium kommen? Die sind doch zum Scheitern verurteilt und müssen sich dann nach einem Jahr Sekundarschulen suchen, die noch Plätze frei haben. Das werden nicht gerade die beliebtesten sein.

Derartige Fälle müssen wir möglichst vermeiden. Deshalb soll es ja im Vorfeld eine Förderprognose und eine Beratung der Eltern geben. Aber wir wissen eben aus Erfahrung, dass diese Prognose nicht immer stimmen muss. Viele junge Menschen mit Realschulempfehlung sind eben letztlich doch erfolgreich im Gymnasium. Denen müssen wir eine faire Chance geben. Aber diese Chance ist eben auf ein Jahr begrenzt.

Die Erfahrung der letzten Jahrzehnte zeigt doch aber auch, dass viele Eltern beratungsresistent sind. Ich muss noch mal fragen: Warum wollen Sie nicht wenigstens die ganz Ungeeigneten vom Losverfahren ausnehmen? Das würde doch auch den Sekundarschulen helfen, die andernfalls so viele Rückläufer verkraften müssen.

Ich baue auf die Beratung der Grundschule und die Verantwortung der Eltern: Niemand schickt ein Kind bewusst in ein absehbares Scheitern. Warum soll die Rückläuferzahl größer werden als jetzt? Jetzt liegt sie bei sechs bis acht Prozent. Ich habe gute Gründe zu vermuten, dass sie nicht größer wird. Denn in Zukunft stehen zwei gleichwertige Schulformen zur Auswahl, die beide zum Abitur führen. Die Sekundarschule wird für viele die attraktivere Schulform sein.

Wir haben in Berlin einige Dutzend Gymnasien, die so nachgefragt sind, dass sie ausschließlich gymnasialempfohlene Kinder aufnehmen können. Diese Schulen erbringen bessere Leistungen. Schneiden Sie diese Leistungsspitze der Berliner Gymnasien nicht ab, wenn Sie auch sie zwingen, per Losverfahren eine womöglich große Zahl ungeeigneter Schüler aufzunehmen, die das Tempo nicht mithalten können? Wollen Sie die Spitze kappen?

Im Gegenteil. Ich will die Spitze noch stärker und breiter machen. Sie wissen doch, dass auch viele realschulempfohlene Kinder sehr erfolgreich Abitur machen. Im Sinne der Chancengleichheit ist es wichtig und zumutbar, dass auch Kinder mit schwächeren Leistungen erst mal auf ein Gymnasium gehen können. Und es wird mehr als nur kompensiert durch die neue Möglichkeit für die Schulen, sich die Hälfte der Schüler auszuwählen – nach Leistung und Profil.

Die Vertreter der Gymnasien sehen das offenbar anders.

Die Diskussion, die wir jetzt führen, erstreckt sich nicht auf die Eckpunkte, sondern vor allem auf den Prozentsatz bei der Nachauswahl der begehrten Schulen.

Ist der verhandelbar?

Es geht nicht um verhandelbar. Die konkrete Prozentzahl ist nicht der Punkt. Im Prinzip ist das alles ein Vorschlag, über den das Parlament entscheiden wird. Ich lege nur Wert darauf, dass es bei den beiden zentralen Gesichtspunkten bleibt – Profilbildung und eine faire Chance für alle. Und noch etwas: Ich glaube nicht, dass die Bewerberzahl an den Gymnasien steigen wird. Sie haben doch zum ersten Mal in dieser Republik die Wahl zwischen zwei Schularten, die beide zum Abitur führen, und die Sekundarschule unter deutlich günstigeren Bedingungen mit mehr Unterstützung für den einzelnen Schüler.

Das ist doch Augenwischerei: Viele Sekundarschulen werden keine eigene gymnasiale Oberstufe haben.

Das ist keine Augenwischerei. Es gibt doch jetzt schon viele Gesamtschulen, künftige Sekundarschulen, die kognitive Spitzenleistungen genauso gut fördern wie unsere besten Gymnasien. Und diese werden wir personell und konzeptionell stärken.

Dennoch kommt es bei den Eltern als Willkür an, wenn ihr gymnasialempfohlenes Kind keinen Platz am gewünschten Gymnasium bekommt, weil ein Kind mit schwachen Leistungen mehr Losglück hatte.

Es wird nur wenige Eltern geben, die trotz offenkundig fehlender Eignung ihr Kind auf das Gymnasium schicken wollen. Auch jetzt gehen bereits viele gymnasialempfohlene Kinder zur Gesamtschule und machen dort nach 13 Jahren Abitur. Für Kinder, die die hohe Lerndichte und -geschwindigkeit der Gymnasien wollen, werden wir immer Plätze haben. Aber natürlich nicht immer am Gymnasium ihrer ersten Wahl. Das ist auch jetzt so.

Aber Sie schränken doch den Elternwillen ein, wenn die Eltern eines gut geförderten Kindes mit ansehen müssen, dass ihre ganze Unterstützung umsonst war, weil ihr Kind im Lostopf scheitert.

Im Gegenteil. Künftig haben diese Eltern doch viel mehr Aussichten! Früher mussten die stark nachgefragten Spitzenschulen auch Kinder mit schwacher Gymnasialempfehlung nehmen, weil letztlich die Wohnortnähe den Ausschlag gab. Jetzt kann die Schule sich die besten Schüler selbst aussuchen, und davon profitieren genau die Kinder, die stark gefördert wurden. Ich halte fest: Ein gymnasialempfohlenes Kind wird auf jeden Fall einen Gymnasialplatz bekommen. Wenn ich alle möglicherweise ungeeigneten Kinder außen vor halten will, muss ich den Elternwillen beschneiden. Das will ich nicht.

Halten Sie daran fest, 2010/11 mit der Einführung der Sekundarschulen zu beginnen, obwohl die Umbauten der Schulen und die Fortbildungen der Lehrer erst anlaufen und obwohl viele Eltern die neue Lage nicht richtig einschätzen können?

Indem man die Reform zusätzlich hinauszögert, schafft man nur Unsicherheit. Die Zustimmung zu dem eigentlich relevanten Punkt, nämlich zu einem zweigliedrigen Schulsystem mit mehr Ganztagsangeboten und individueller Förderung, ist so groß, dass man nicht mehr warten sollte.

Das Gespräch führte Susanne Vieth-Entus

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