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Max Deiberts Herz ist gebrochen, aber wenigstens nach allen Regel der Dramenkunst.

© privat

Essay: Die Weltformel für die Liebe

Man trennt sich - hastet in eine neue Beziehung, oder flüchtet. Ablenkung. Dabei sollte man an der Katastrophe wachsen und dafür die Dramentheorie von Aristoteles umstellen, meint unsere Jugendredaktion in einem Essay über die Liebe.

Wie jeder Idiot, der schon mal einen Lebenslauf verfassen musste, habe ich bei mir drei große Leidenschaften entdecken können: über Filme diskutieren, den Sinn des Lebens hinterfragen und schlafen. Ach ja: Sex auch, aber das kriege ich nicht oft genug auf die Reihe, um es Hobby nennen zu können. Als ich vor einiger Zeit mit meiner ersten Freundin nach einem guten Film und gutem Sex im Dunkeln lag, beschloss ich nicht (wie sonst) in einen komatösen Schlaf zu fallen, sondern mit ihr über den idealen dramaturgischen Aufbau von allem zu diskutieren, was eine Handlung hat. Oder haben sollte. Es war ein schönes Gespräch: Ich redete und sie schlief ein. Im Dunkeln entwarf ich die Weltformel für gute Filme. Ich kam zu dem Schluss, dass eine leichte Abwandlung der klassischen Theorie des Aristotelischen Dramas die einzig wahre Methode ist, eine glaubhafte Geschichte zu erzählen.

Funktioniert die Dramentheorie auch bei der Liebe?

Aristoteles gliederte seine Dramen in vier Teile, beginnend mit der Exposition (hier werden die Figuren und ihre Charaktereigenschaften vorgestellt), dann bildet sich der Höhepunkt, dicht gefolgt vom retardierenden Moment (das Tempo wird aus der Geschichte genommen) und endend mit der Katastrophe, die alle Protagonisten hoffnungslos besiegt dastehen lässt und zur Katharsis (Reinigung) des Publikums führen soll.

Ich finde, jeder moderne Film benötigt eine Katastrophe, um glaubwürdig zu erscheinen. Außerdem fühle ich mich als Kinobesucher betrogen, wenn die Protagonisten die Katastrophe überstehen, ohne daran zu wachsen. Dann lieber sterben. Ich verschiebe die Katastrophe also vom Schluss des Dramas an die Stelle des Höhepunktes und lasse den Film mit einem Happy End ausklingen.

Aber kann ich die Weltformel für gute Spielfilme auch auf die Liebe anwenden? Mündet sie zwangsläufig in eine Katastrophe, aus der ich gereinigt, schlauer, glücklicher hervorgehe? Oder findet dieser Ablauf nur in Filmen statt? Sind Erzählungen, die meiner Formel folgen, nur so stimmig, weil sie mich am Ende des Films nicht mit der Realität, sondern mit einer Hoffnung sitzen lassen? Ist es naiv zu glauben, dass ich aus einer gescheiterten Beziehung gereifter herausgehen könnte, wie der Phönix aus der Asche? Aber nicht als putziger Babyphönix, wohlgemerkt, ich spreche hier von einem super abgeklärten Badass-Phönix, dem niemand in Sachen Leben oder Liebe etwas vormachen kann.

Eine Katastrophe findet sich immer - wir sind ja Menschen

Genau wie im Film sind auch in der Liebe markante Protagonisten nötig, um eine glaubwürdige Geschichte zu erzählen. Ich schließe also Zweckgemeinschaften, Zwangsehen und Vorschulliebschaften aus, die mit einem Ehering aus Weingummi geschlossen wurden. Die Protagonisten müssen wissen, wo sie im Leben stehen, wie sie sich gegenseitig als Liebende sehen und was sie von einander wollen. Ein solcher Zustand ist in einer Beziehung ein schwer zu erreichendes Ideal und dient an dieser Stelle als Nährboden für die dringend benötigte Katastrophe.

Wie Kontinentalplatten stoßen unterschiedliche Weltanschauungen aufeinander und entfachen ein Erdbeben der Hoffnungslosigkeit - wie konnte ich sie nur jemals leiden, wo wir doch so grundverschieden sind? Mit tumoröser Unbarmherzigkeit schleicht sich Eifersucht zwischen die Liebenden. Ist das Feuer zwischen uns möglicherweise erloschen? Man muss in der Liebe nicht lange suchen, um die Auslöser für eine Katastrophe zu finden.

Die Liebe ist eine gute Geschichte

In den Folgen der Katastrophe zeigt sich aber die Funktionalität meines abgeänderten aristotelischen Dramen-Konzepts. Denn wie soll ich Mut aus etwas schöpfen, das den Zusammenbruch meiner Welt verkörpert? Wie soll ich mich davon reinigen? Am glaubwürdigsten empfand ich die Katharsis in meinem Lieblingsfilm „V wie Vendetta“. Hier verfolgt die Protagonistin den Wunsch, keine Furcht mehr zu spüren, um das Unrechtsregime, das ihre Heimat unterdrückt, bekämpfen zu können. Ihr Freund V entführt und foltert sie, droht ihr mit dem Tod, um sie von der Unbeugsamkeit ihres eigenen Willens zu überzeugen. Nach ihrer Gefangenschaft schleppt sich die junge Frau mit letzter Kraft ins Freie. Es regnet, und sie ist komplett durchnässt, aber sie weiß, dass sie ihr Ziel erreicht hat.

Der Autor Max Deibert (20) ist mit schwerem Rucksack und ausziehbarer Selfie-Stange nach China aufgebrochen.
Der Autor Max Deibert (20) ist mit schwerem Rucksack und ausziehbarer Selfie-Stange nach China aufgebrochen.

© privat

Die Liebe ist eine gute Geschichte, weil sie jedem Menschen eine Chance bietet. Die Chance, sich nach der unweigerlichen Katastrophe aufzuraffen und von vorne zu beginnen. Egal, ob mit derselben Partnerin oder allein. Ich werde klüger, oder die Katastrophe wiederholt sich. Das sehe ich bei Bekannten und Freunden, aber auch in Filmen, die mir nicht gefallen haben. Protagonisten werden immer wieder enttäuscht, erleben eine Katastrophe nach der anderen, bis sie sich einer Katharsis unterziehen und mit klarem Blick und gesundem Selbstvertrauen nach einem Partner suchen, mit dem sie glücklich sein können. Oder sie schaffen es nicht und es kommt ein eintöniger, deprimierender Film wie „Blue Jasmine“ bei raus.

Es bleibt die Hoffnung, dass jeder Mensch ein ausgewachsener Phönix werden kann, der seine Asche hinter sich lässt, um zu strahlen. Vielleicht sogar mit einem Partner.       

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Max Deibert

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