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Etwa 6,5 Prozent der Berliner sind Muslime.

© dpa

Junge Jünger (Teil 3/4): Ruhepole im bewegten Leben

In unserer Serie "Junge Jünger" stellen wir vier junge Menschen unterschiedlicher Konfessionen vor. Was bietet ihnen der Glaube? Im Portrait unseres dritten Teils: Nesreen, 22 Jahre und Muslima.

Wenn ihre Arbeitskollegen zur Raucherpause schreiten, nimmt sich Nesreen etwas Zeit für sich und ihrem „Date mit Gott“, wie sie es nennt. Fünf Mal am Tag lässt sie die Welt für einen Augenblick hinter sich. Das Gebet sei eine „Ruhezeit am Tag für die Ruhe im Herzen“. Ganz normal, findet sie. Andere gehen schließlich joggen oder lesen ein Buch um runterzukommen. „Das Gebet ist meine Zeit mit Allah. Danach fühle ich mich erfüllt und jedes Mal bestätigt in meiner Religion, aber auch in der Gewissheit, Allah nie so gerecht werden zu können, wie er es verdient“.

Auf Arbeit ist das Gebet kein Problem, dort liegt dafür immer ein Teppich bereit. Und wenn sie unterwegs ist, sucht sie sich mithilfe ihres Smartphones die nächste Moschee. In der Uni haben sich die muslimischen Studenten sogar extra einen Bereich für das Gebet eingerichtet: Unter einer der Treppen. "Wie bei Harry Potter", sagt sie und lacht.

„Meine Eltern haben mit Religion eigentlich nicht viel am Hut“

Zwar hat Nesreen einen palästinensischen Hintergrund, doch dass sie sich einmal so sehr in den muslimischen Glauben eintauchen würde, war keineswegs vorgezeichnet. „Meine Eltern haben mit Religion eigentlich nicht viel am Hut“, sagt sie. Zwar feiern sie muslimische Feste, doch ein großes Thema ist der Glaube in ihrer Familie eigentlich erst durch Nesreen und ihre größere Schwester geworden. Eines Tages kam ihre Schwester mit einem Kopftuch bekleidet nach Hause – ein für Nesreen gänzlich neuer Anblick, der sie jedoch zugleich faszinierte.

Nesreen
Nesreen

© Simon Grothe

Sie war 13 Jahre alt, als sie sich erstmals intensiv mit ihrer muslimischen Identität auseinandersetze. Schließlich tat sie es ihrer Schwester gleich und begann ebenso den Hijab, die islamische Kleiderordnung, für sich zu entdecken. Sonst hatte sie nicht viel Wert auf ihr Äußeres gelegt, trug lieber legere und weniger elegante Sachen

Ihren Eltern war der neue islamische Kleidungsstil nicht geheuer. Sie versuchten sogar, ihr das Kopftuchtragen auszureden, weil sie Angst hatten, Nesreen würde in der Öffentlichkeit dadurch Nachteile erfahren. Vereinzelnd hat sie tatsächlich schlechte Erfahrungen gemacht, doch die Regel ist das nicht.

Ordnung in ihrem Leben

Und der Glaube? Der kam erst später nachdem sie sich die heute 22-Jährige noch tiefgründiger mit dem Islam auseinandersetzte. Sie suchte Antworten. Und fand sie: „Ich habe im Islam keine Widersprüche gefunden, keine meiner Fragen blieb unbeantwortet“. Ihre Religion brachte ihr zudem eine Ordnung in ihr Leben, welches sie bis dahin als eher chaotisch empfand.

„Wie jeder Mensch mehrere Identitäten hat, ist auch der Islam nur eine Identität unter vielen für mich“, betont sie. So ist sie zwar Sunnitin, doch solche Unterscheidungen würden ihrer Meinung nach unnötige Gräben schaffen. Genau die will sie in ihrem ehrenamtlichen Engagement beseitigen. In ihrer muslimischen Gemeinde in Spandau organisiert sie Treffen für den interreligiösen Austausch. Sie begleitet Jugendliche durch Ausstellungen zu Antisemitismus im Anne-Frank-Zentrum, klärt für die Organisation „Gesicht zeigen“ auf und ist Vorstandsvorsitzende im Verein Dialog Integration Bildung, wo sie sich mit der arabischen Kultur und der Vermittlung der arabischen Sprache beschäftigt. Zudem arbeitet sie bei der Jugendprojekt-Stiftung „ThinkBig“. Und dann ist da noch ihr Studium: Islamwissenschaft. Auf die Frage, ob ihr dann noch Freizeit bleibe, antwortet sie, dass genau dies ihre Freizeit sei.

Aktivität als Ausdruck des Glaubens

Nesreen spricht in einer impulsiven und aufgeweckten Sprache, scheinbar ganz beseelt von ihren unbändigen Tatendrang, den sie auch aus ihrem Glauben bezieht. Sie lebt getreu nach ihrem Lieblingszitat des Propheten: „Der Beste unter den Menschen ist derjenige, der seinen Mitmenschen am nützlichsten ist.“ Und dies bedeutet für sie, sich nicht in ihrer Religion zu verkriechen, sondern als weltoffener Menschen aktiv im Leben zu stehen.

Im vierten und letzten Teil unserer Serie "Junge Jünger" portraitieren wir den jungen Juden German.

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Maurice Beringuier, Henrik Nürnberger

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