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Unsere Autorin Emilie Schmidt in Eurythmie-Kleidung.

© privat

Waldorfschule: Wie ich lernte, meinen Namen zu tanzen

Waldorfschüler sind oft Spott und Häme ausgesetzt. "Ja, ja... Namen tanzen und so." Tatsächlich lernt man das dort. Die Autorin ist selbst Schülerin einer Waldorfschule und erklärt auf unserem Jugendblog, was da so abgeht.

Wir stehen in einem Kreis zusammen. Der Raum ist groß, lichtdurchflutet und mit hellen, warmen Farben gestrichen. Außer ein paar Sitzbänken und einem Flügel ist er leer. Es ist ein Tanzraum in einer Waldorfschule, was wir hier machen, nennt sich Eurythmie, auch bekannt als „Namen-Tanzen“. 

Wenn ich Leute treffe und ihnen sage, dass ich auf eine Waldorfschule gehe, kommt entweder der Satz: „Oh, du gehst auf eine Baumschule“ oder die Frage: „Kannst du auch deinen Namen tanzen?“. Worauf sich die Meisten dann versuchen zu einem E, F oder einem A zu verbiegen, bis ich sie darüber aufkläre, dass Eurythmie kein Cheerleading oder Akrobatik ist, sondern dass es ein eigenes Alphabet gibt, und die Bewegungen der Buchstaben danach gerichtet wurden, wie die Stimmbänder sich bei verschiedenen Lauten bewegen. Zum Beispiel bildet man das E indem man seine Unterarme überkreuzt vor seinen Körper hält. 

Eurythmie drückt sich jedoch genauso durch Bewegungsabläufe aus. Während in den unteren Klassen die Formen meistens vorgegeben werden, erarbeitet man sich diese, sowie die Laute, in der Oberstufe oft selber und tanzt sie dann zu Gedichten oder klassischer Musik. Da ich ab einem gewissen Alter mit diesem Fach nicht mehr so viel anfangen konnte, hat mir die Selbstgestaltung geholfen, mich besser mit dem Fach identifizieren zu können und Spaß daran zu haben. Man muss sich auf die Eurythmie einlassen, um ihren Sinn zu verstehen und von ihr zu profitieren.

Eurythmie wurde Anfang des 20. Jahrhunderts von dem Philosophen Rudolf Steiner erfunden. Die Menschen setzten sich zu dieser Zeit mit sich und ihrem Platz im Universum auseinander, die Kirche verlor ihre Dominanz im alltäglichen Leben. Man suchte nach einer Ausdrucksart, die die äußerlichen, geistigen und seelischen Elemente des Menschen zusammenbringen konnte. Eurythmie sollte, wie beim Meditieren, eine positive Energie und Eigenaktivität aufbauen.

Neben dem Raum-, Rhythmus-, und Körpergefühl, wird auch die Reflexion und Koordination geschult. Wie bewegt sich der andere, wenn ich mich so bewege und was passiert, wenn ich mich der Musik entsprechend schnell oder langsam bewege? Wird dadurch eine Energie im Raum erzeugt? Da Rudolf Steiner ebenfalls der Gründer der Waldorfschule war, ist die Eurythmie für ihn ein wichtiger Bestandteil bei der Entwicklung eines Kindes. Es schafft einen Ausgleich zu gänzlich geistigen Fächern und entwickelt eine Raumwahrnehmung, ein Gefühl für das eigene Umfeld und das soziale Miteinander.  

Leider liegen Theorie und Praxis weit auseinander

Die Lustlosigkeit, die Eurythmie des Öfteren in mir auslöst, hat nämlich leider nichts mit Selbstfindung oder Bewegungsfreude zu tun und wird sicher noch verstärkt, wenn ich durch die großen Fenster des Raumes die strahlende Sonne sehe und mir denke, dass ich wegen so einer Beschäftigungstherapie im Winter im halbdunkeln nach Hause fahren muss. Doch da ich daran sowieso nichts ändern kann, entscheide ich, einen kleinen Selbstversuch zu machen, indem ich mich damit abfinde und den Sinn der Eurythmie austeste.

Ich blende das Gequatsche meiner Klassenkameraden und die kläglichen Versuche meiner Lehrerin, die Aufmerksamkeit der Schüler zu bekommen, aus, und konzentriere mich darauf, wie die Musik und die Bewegungen auf mich wirken. Ich schließe automatisch die Augen und merke, wie ich plötzlich ganz ruhig werde. Ich kann mit einem Abstand auf alles sehen und irgendwie in meinem Kopf ein bisschen das Chaos von Ebola-Diskussionen und Mathestatistiken aufräumen. Alle kleinen, alltäglichen Probleme wirken plötzlich unwichtig und als mich das Lachen einer Freundin wieder aus meinem Selbstversuch in die Realität zurück holte, die aus rumsitzenden und liegenden Schülern besteht, geht es mir besser und die Lehrerin tut mir etwas leid.  Vielleicht sollte sich Eurythmie etwas an die Zeit anpassen.  

Manchmal kann es aber auch ganz nützlich sein, dass viele den Begriff Eurythmie nicht kennen. Zum Beispiel wurden mal zwei Freundinnen von mir von einer Gruppe Jungs angemacht, die sie nach dem Satz: „Vorsicht wir können Eurythmie !!!“ schnell in Ruhe ließen.

Das war ein Selbstversuch auf unserem neuen Jugendblog "Schreiberling". Lust auf mehr? Werdet unsere Freunde auf www.facebook.de/Schreiberlingberlin oder folgt uns auf www.twitter.com/schreiberling_. Fanpost und Kritik an schreiberling@tagesspiegel.de

Emilie Schmidt

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