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Jugendgewalt: Die Opfer leiden, die Täter werden geschont

Wenn Schule aus falsch verstandener Rücksicht nicht auf Gewalt reagiert. Erlebnisse eines Vaters.

Die bunten Bilder auf den Fluren der Kreuzberger Schule, die wir bei der Einschulung sahen, waren eindeutig: „Wir hauen uns nicht“, „Wir beschimpfen uns nicht.“ Davor standen die Kinder – Erst- und Zweitklässler – und schlugen und beschimpften sich. Lehrer gingen vorbei. Mal sagte einer etwas, mal nicht. Konsequente Konsequenzen – Fehlanzeige. Die Kinder, die vom Elternhaus noch mit einem Verhaltenskodex in die Schule geschickt wurden – zumeist deutsche Kinder – , lernten schnell, das man sich daran offenbar nicht zwingend halten muss, die anderen – zumeist Migrantenkinder – erfuhren erst gar nichts von irgend welchen Regeln und davon, dass Gewalt kein Mittel der Auseinandersetzung ist. Jedenfalls erfuhren sie es nicht systematisch und stringent bei allen Lehrern. Damit etwas passierte, musste schon ein Kind „petzen gehen“, mussten sich Eltern massiv beschweren oder eben selbst eingreifen, wenn sie denn in der Schule waren. Wir als Eltern des einen der zwei „deutschen Jungen“ der Klasse mussten bei Problemen in der Schule antreten, wie alle anderen Eltern auch, die sich kümmerten, die für die Schule erreichbar waren. Andere Eltern aber wurden nicht einbezogen, nicht einmal über das Verhalten ihrer Kinder informiert – sie kamen sowieso nicht. Sie kümmerten sich nicht und kamen damit durch. Oder noch schlimmer: Allzu oft war die Begründung seitens des Klassenleiters und anderer Lehrer, man glaube, dass die auffälligen Kinder, gerade die aus den Migrantenfamilien, mit türkischen oder arabischen Eltern, zu Hause geschlagen werden. Wenn man die Eltern nun über das Verhalten ihrer Kinder informiere, bestünde die Gefahr, dass die Kinder dann noch mehr Prügel bekommen. Also geschah in der Regel: nichts. Selten ein Gedanke beim Klassenlehrer daran, die Kinder tatsächlich effektiv vor den Prügel-Eltern zu schützen, das Jugendamt oder die Polizei einzuschalten. Und unser Sohn verstand die Welt nicht mehr. Fast ein dreiviertel Jahr wurde er in der Schule gemobbt und getrietzt von seinen Peinigern – zu 95 Prozent Migrantenkinder. Die Erfahrungen haben gereicht, den Vater an der eigenen Toleranz verzweifeln zu lassen.

Eine harte Schule, durch die unser Sohn früh musste – auch, weil die eigentliche Schule versagt hatte. Lehrer an der ersten Grundschule, von der wir ihn nach eineinhalb Jahren nahmen, reagierten nicht konsequent auf das unmögliche Verhalten einiger Kinder, deren Erziehungsberechtigte allzu oft von der Berechtigung zur Erziehung keinen Gebrauch machten. Jedenfalls nicht nach landläufigen Maßstäben.

Nur ein Erlebnis: Unser Sohn geht mit Freunden an Halloween in der Nachbarschaft auf Süßes-oder-Saures-Tour. In einem Treppenhaus werden sie (sechs, sieben und acht Jahre alt) von maskierten 11- und 12-Jährigen mit einem Messer bedroht und ihrer Halloween-Beute beraubt. Einen Täter erkennt unser Sohn, dessen jüngerer Bruder geht in dieselbe Schule. In der Schule wird unser Sohn dann von eben diesem jüngeren Bruder bedroht: Wenn er was erzähle, dann gebe es bittere Rache – von der ganzen Familie.

Wir haben die Schule informiert. Es kam zu einem Gespräch. Teilnehmer: Unser Sohn, wir, der kleine Erpresser, die jeweiligen Klassenlehrer und die Rektorin. Keine Spur von den anderen Eltern. Der Vater verstehe kein Deutsch, heißt es. Die Verteidigung des Delinquenten übernimmt die Klassenleiterin: Der Junge würde so etwas nie tun, sie glaube ihm, wenn er sage, dass die Behauptung unseres Sohnes nicht stimmt; überhaupt handle es sich wohl um eine ungeheure Unterstellung. Dass es Zeugen gab – egal. Die junge, neue Rektorin reagierte zum Glück konsequent und pfiff die Lehrerin zusammen. Ergebnis: Wir organisierten der Schule über Bekannte und den Türkischen Bund einen Dolmetscher, damit die Schule mit den Eltern reden konnte. Dem Jugendamt – erfuhren wir später – war die Familie seit langem bekannt, die Kinder würden vernachlässigt, geschlagen wohl auch, lehne allerdings seit Jahren jede Hilfe ab. Rechtliche Zwangsmöglichkeiten gebe es keine.

Inzwischen ist unser Sohn auf einer anderen Schule. Auch in Kreuzberg. Es geht auch anders. Bei den kleinsten Anzeichen von Gewalt wird von den Lehrern sofort reagiert. Lehrer reden mit den Schülern in der Klasse über Gewalt, Regeln und Normen, erarbeiten Gegenstrategien, schlichten Konflikte und verhängen Sanktionen. Notorische Gewalttäter werden aus dem Unterricht genommen. Und: Bei dem kleinsten Anzeichen von Vernachlässigung oder Gewalt im Elternhaus reagiert die Schule sofort. Die Kinder – und auch die Eltern – werden über das Recht auf Gewaltfreiheit aufgeklärt. Wer sich daran nicht hält, hat Konsequenzen zu erwarten.

Der Autor ist der Redaktion bekannt

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