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Jugendkriminalität: Schneller Prozess nun in ganz Berlin

Polizei und Justiz weiten das „Neuköllner Modell“ auf alle Bezirke aus: Junge Kleinkriminelle sollen nach spätestens vier Wochen verurteilt werden.

Das „Neuköllner Modell“ gegen junge Kleinkriminelle wird wegen des großen Erfolges im Juni auf ganz Berlin ausgeweitet. Dies teilten Polizei, Staatsanwaltschaft und Kammergericht am Donnerstag mit. Neuköllner Modell bedeutet: Wer bei kleineren Delikten – zum Beispiel Diebstahl, Körperverletzung oder Beleidigung – erwischt wird, kommt schnell vor Gericht, und nicht erst viele Monate später. Die Erfahrung hat gezeigt, dass kriminelle Karrieren besser gestoppt werden können, wenn die Gerichtsverhandlung kurz nach der Tat ist.

Ein halbes oder ein Dreivierteljahr nach der Tat sei die pädagogische Wirkung eines Prozesses gering, hieß es, weil die Täter jede Erinnerung an die Tat verloren haben. Häufig war es in der Vergangenheit so, dass Jugendliche in der langen Zeit bis zur Verhandlung bereits zahlreiche weitere Taten begingen – weil es ja offensichtlich keine staatlichen Konsequenzen gibt. Untersuchungshaft gegen Jugendliche gibt es nur in sehr seltenen, besonders schweren Fällen. „Die Jugendlichen überwiegend ausländischer Abstammung oder Nationalität haben ihren Respekt vor staatlicher Gewalt auch deshalb verloren, weil sie in täglicher Erfahrung wahrnehmen, dass auch nachhaltigen Straftaten keine entsprechenden staatlichen Sanktionen gegenüberstehen“, heißt es in einem Bericht der Strafverfolgungsbehörden.

„Schnell“ bedeutet laut Justiz maximal vier Wochen. Bei den beschleunigten Verfahren werden die Fälle nicht mehr nach Postleitzahlen zugeteilt, sondern kiezorientiert. Das soll – ähnlich wie beim Umgang mit Intensivtätern – dazu führen, dass Polizisten, Staatsanwälte und Richter kriminelle Karrieren und familiäre und soziale Zusammenhänge besser in den Blick bekommen. Dann können sie auch eher beurteilen, wie und wohin sich jugendliche Straftäter entwickeln.

Das Projekt war ursprünglich im besonders kriminalitätsbelasteten Rollbergkiez in Nord-Neukölln erfunden worden. Im Juli 2008 war es auf die ganze Polizeidirektion 5 (Neukölln, Friedrichshain und Kreuzberg) ausgedehnt worden. Zum Jahreswechsel 2010 hatten es auch die Direktionen 1 (Pankow und Reinickendorf) und 6 (die meisten Ost-Bezirke) übernommen. Justizsenatorin Gisela von der Aue (SPD), Polizeipräsident Dieter Glietsch und Generalstaatsanwalt Ralf Rother haben die Ausweitung ausdrücklich begrüßt. Als Initiatorin gilt die Neuköllner Jugendrichterin Kirsten Heisig – von der Justizverwaltung war das Modell zunächst, wie bereits berichtet, mit einiger Distanz beobachtet worden.

Angewendet wird es bei allen Taten, für die maximal ein Dauerarrest von vier Wochen in Betracht kommt und wo die Beweislage „übersichtlich“ ist. Ermöglicht wird dies durch eine frühzeitige Zusammenarbeit aller Verfahrensbeteiligten, also Polizei, Staatsanwaltschaft, Jugendgerichtshilfe und Jugendrichtern. Bei der von Intensiv- und Schwellentätern begangenen Schwerkriminalität ist ein schneller Prozess nicht möglich, da viele Zeugen und Beteiligte gehört werden müssen. In den beiden Jahren 2008 und 2009 wurde das Neuköllner Modell etwa 220 Mal angewendet. Diese Zahl soll nun deutlich steigen. Pro Jahr gibt es etwa 13000 jugendliche Tatverdächtige in Berlin.

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