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Insgesamt sind in Berlin gut 500 Intensivtäter registriert, von denen rund 80 Prozent wiederholt im Gefängnis saßen. Die Rückfallquote beträgt für diese Gruppe rund 50 Prozent.

© dpa

Jugendkriminalität: Studie: Berlin versagt bei Intensivtätern

Rund 500 Intensivtäter sind in Berlin registriert, viele sitzen wiederholt im Gefängnis. Eine Studie zeigt: Oft sei schon im Kindergarten absehbar, dass es später massive Probleme gebe. Justiz und Sozialarbeit hätten in Berlin aber kein gemeinsames Vorgehen dagegen.

Das Berliner Justizsystem betreut mehrfach auffällige junge Straftätern nicht ausreichend. In den Gefängnissen wird zu wenig getan, um zu vermeiden, dass sie nach dem Absitzen von Haftstrafen wieder strafbar werden. Das ist eine der Erkenntnisse einer Studie, die am Mittwoch auf Antrag der Grünen im Rechtsausschuss des Abgeordnetenhauses diskutiert wurde – und die durch die tödliche Prügelattacke vom Alexanderplatz zusätzliche Aktualität bekommen hat.

Denn zumindest einer der Tatverdächtigen, die vor gut zwei Wochen den 20-jährigen Jonny K. mit tödlichen Folgen verprügelt haben sollen, war zuvor wegen mehrerer Delikte in Haft gewesen. Die Ermittlungen gegen den 19-Jährigen, der sich in der Türkei aufhält, sowie zwei weitere flüchtige Tatverdächtige laufen, laut Staatsanwaltschaft gab es am Mittwoch keine neuen Entwicklungen.

Erstellt wurde die am Mittwoch im Parlament präsentierte Expertise mit dem Titel „Intensivtäter in Berlin – Haftverläufe und Ausblicke auf die Legalbewährung junger Mehrfachtäter“ im Auftrag der beim Senat angesiedelten Landeskommission Berlin gegen Gewalt, Autor ist Claudius Ohder, Professor für Kriminologie an der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht. Er schreibt, dass die Berliner Justiz zwar mehrfach auffälligen jungen Gewalttätern zunehmend mit „klar repressiven Strategien und Maßnahmen“ begegne – es erscheine jedoch „wenig gesichert, dass damit eine nachhaltige Lösung erreicht worden ist“.

Insgesamt sind Ohder zufolge in Berlin gut 500 Intensivtäter registriert, von denen rund 80 Prozent wiederholt im Gefängnis saßen. Die Rückfallquote betrage für diese Gruppe rund 50 Prozent. Sein skeptisches Fazit deckt sich mit der selbstkritischen Einschätzung des staatlichen Umgangs mit Wiederholungstätern, die Justizsenator Thomas Heilmann mit Bezug auf die Alexanderplatz-Attacke dem Tagesspiegel gegeben hatte. Der CDU-Politiker hatte am Dienstag gesagt: „Wenn wir uns fragen, ob wir im Umgang mit Intensivtätern immer erfolgreich sind, lautet die Antwort: Nein.“ Er könne „leider nicht sagen, dass wir mit dem Erreichten zufrieden sind.“

Kriminologe Ohder sieht ein besonderes staatliches Versagen darin, dass Maßnahmen von Justiz, Sozialarbeit und anderen staatlichen Stellen nicht ausreichend aufeinander abgestimmt sind: „Es fehlt ein zentraler Verantwortlicher für alle Maßnahmen, außerdem gibt es zu wenig Erfolgskontrollen.“ Oft sei bei künftigen Intensivtätern schon im Kindergarten absehbar, dass es später massive Probleme gebe. Reagiert werde darauf aber oft nur mit punktuellen und nicht koordinierten Maßnahmen. Gerade nach der Rückkehr junger Mehrfachtäter aus dem Gefängnis in den Alltag gibt es bei dieser Tätergruppe große Defizite, hat Kriminologe Ohder festgestellt. Die Vorbereitung der Entlassung sei „in vielen Fällen unbefriedigend“ und habe „positive Entwicklungen während der Haft gefährdet“. Sein Fazit, das auf dem Studium von mehr als 250 Akten und 27 Interviews basiert: „Nur in wenigen Fällen kann von einem systematischen Übergangsmanagement die Rede sein.“ So habe die Justiz in den seltensten Fällen dabei geholfen, den Tätern nach der Haft einen schrittweisen Übergang in die Freiheit zu ermöglichen. Wichtige Ansprechpartner wie Familie, geeignete Freunde oder soziale Gruppen wie Kulturvereine seien kaum einbezogen worden, um positiv auf den Entlassenen einzuwirken. „Keine Familie möchte, dass ihr Sohn wieder im Knast landet“, sagte der Kriminologe. Auch habe es kaum Austausch mit Erziehern oder Betreuern gegeben, die mit dem Täter vor seiner Haftstrafe zu tun hatten.

Scharfe Kritik äußert die Studie auch an den Angeboten für junge Täter, sich im Gefängnis zusätzlich schulisch oder beruflich weiterzubilden: Ob ein Inhaftierter solche Angebote bekomme, hänge in der Regel nicht von der Frage ab, ob es einen Bedarf gibt, sondern ob es gerade Kapazitäten im Gefängnis gebe – was oft nicht der Fall sei. Hilfsangebote, mit typischen Problemen wie Überschuldung oder Drogensucht umzugehen, gebe es ebenfalls kaum. Das sei besonders in der Untersuchungshaft so. Ohder forderte daher, die Zeit der U-Haft zu verkürzen, da es die meisten Angebote, die die Rückfallgefahr von Tätern reduzieren, im regulären Strafvollzug gebe.

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