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Junge Linke: Träumen mit Rosa und Karl

Was junge Linke mit den Märtyrern des Sozialismus verbindet – und welche Gesellschaft sie sich wünschen.

Seit sie zehn ist, geht sie zu Rosa und Karl. Früher mit den Eltern, später mit Freunden, die so denken wie sie. An den Gräbern von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht rote Nelken niederzulegen, gehört zur Familientradition. Ist aber auch ein inneres Bedürfnis von Sophie, 22, Studentin der Religionswissenschaft, Vorstandsmitglied der Linkspartei-Jugendorganisation „Solid“, aufgewachsen im Ostteil der Stadt. Ihr Solid-Kollege Janis, 20, ist erst seit zwei Jahren Gedenkmarschierer. Hat auch mit seiner Familie zu tun. Die kommt aus West-Berlin.

Am heutigen Sonntag ist es wieder so weit. Jung- und Alt-Linke, Kommunisten, Maoisten, Trotzkisten, Ostalgiker der DDR und Systemgegner der BRD pilgern auf den Ehrenfriedhof der Sozialisten in Friedrichsfelde. Ein großes Treffen des weitverzweigten linken Spektrums. Morgens kommen die DDR-Pensionäre aus dem Umfeld der Linkspartei. Gegen Mittag werden die politisch Aktiven erwartet: K-Gruppen-Veteranen, Autonome und Undogmatische wie Sophie und Janis in einem organisierten Demozug. Vor dem Friedhofstor müssen sie Transparente, Mao-Ikonen und rote Fahnen ablegen, weil Rosa und Karl allen Linken gehören sollen. Die Vereinnahmung durch die SED ist noch in schlechter Erinnerung.

Sophie sitzt auf dem Sofa im Wahlkreisbüro der linken Bundestagsabgeordneten Halina Wawzyniak, für die sie als wissenschaftliche Hilfskraft arbeitet. Ein rotes Kissen unter die Arme geklemmt, stimmt sie eine Eloge auf Rosa Luxemburg an, die „wahnsinnig intelligente Frau“, die unbeugsam und aufrichtig ihren steinigen Weg gegangen sei, ein Vorbild, schon für ihre Mutter.

Rote Nelken. An diesem Sonntag zieht, was links denkt, nach Friedrichsfelde – im Gedenken an Liebknecht und Luxemburg und ihre Utopie im Herzen. Foto: ddp/Bilan

© ddp

Janis verbindet mit Rosa und Karl den „Glauben an eine bessere Welt“. Er selbst möchte dafür kämpfen, außerparlamentarisch, damit er nicht als Berufspolitiker Gefahr läuft, seine Ideale zu verraten. Janis studiert Philosophie, liest die linken Klassiker, seziert das Theoriegewebe von Marx und Lenin. „Wir sind die Intellektuellen“, sagt er, Lenin folgend, und bevor er zur nächsten These anheben kann, wirft sich Sophie schon lachend in die Kissen. Janis sagt, er strebe keine Karriere an. Er würde jeden Hilfsjob machen, solange der ihm den Kühlschrank füllt und die Freiheit zum politischen Handeln lässt.

„Aber du hast doch Träume“, wirft Sophie ein. Janis spricht nur allgemein von „gelungener Selbstverwirklichung“ und davon, das kapitalistische System zu überwinden, „wenn die Mehrheit es will“, aber notfalls mit Gewalt.

Über die Kommunismusdebatte um Gesine Lötzsch möchte Janis nicht sprechen. Sophie findet die aufgeregte Diskussion „lächerlich“. Der Begriff Kommunismus sei der „Arbeitstitel für eine bessere Welt“ und habe mit dem Terror Stalins oder der Unterdrückung in China nichts zu tun. Sophie glaubt nicht daran, dass sie in ihrem Leben eine Revolution erleben wird. Und darüber ist sie irgendwie auch froh. „Gewalt ist nicht so mein Ding.“ Ihre Utopie ist die freiheitliche Basisdemokratie: „Alle gestalten die Gesellschaft mit.“ Bis es so weit ist, will sie „auf Probleme aufmerksam machen, die sich nicht auflösen werden“. Armut und Krieg zum Beispiel.

Der Gedenkmarsch spielt im politischen Aktionskalender der beiden Jungsozialisten eher eine untergeordnete Rolle. Die nächste Anti-Nazi-Demo oder das regelmäßige Castorstoppen nehmen sie ernster als Karl und Rosa. Dennoch wollen sie das Gedenken nicht den „Sektierern“ lassen, den „Stalinisten und Maoisten“, den „Verstrahlten“, wie Janis sie spöttisch nennt. Auch den Ewiggestrigen aus dem Nachlass der DDR dürfe man die linken Märtyrer nicht überlassen. Als Abkomme einer West-Berliner Familie mit K-Gruppen-Erfahrung habe er „Berührungsängste“ mit der Linkspartei. „Die ist im Osten ja Volkspartei.“ Aus Janis’ Sicht eher ein Zeichen der Anbiederung. Auch Sophie sieht bei der Linken noch vieles im Argen. In die Partei einzutreten, hat sie nicht vor. Thomas Loy

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