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Wird auch aus der eigenen Partei für seine Kindergeld-Forderung kritisiert: Sigmar Gabriel.

© Michael Kappeler/dpa

Update

Kindergeld für EU-Ausländer: Jusos werfen Gabriel Populismus zulasten von Kindern vor

Sigmar Gabriel will Kindern im Ausland die Unterstützung kürzen. In Berlin ist das Problem durchaus bekannt, doch der Vorstoß umstritten. Brandenburgs Ministerpräsident Woidke verteidigt den SPD-Chef.

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Die Forderung von SPD-Chef Sigmar Gabriel nach Kürzung des Kindergeldes für EU-Ausländer, deren Kinder nicht in Deutschland leben, stößt bei den Jusos auf harsche Kritik. "Von einer Einwanderung in Sozialsysteme zu sprechen, ist populistisch. Das ist Stimmungsmache auf dem Rücken von Kindern", sagte Juso-Chefin Johanna Uekermann dem Tagesspiegel. Die Welt werde nicht gerechter, wenn man einigen Familien ein paar Hundert Euro wegnehme. Wenn Gabriel über Gerechtigkeit sprechen wolle, dann "doch bitte lieber darüber, wie höchste Einkommen endlich fair besteuert werden können und wie Steuerflucht verhindert werden kann".

Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) verteidigte dagegen Gabriels Forderung. Dem Tagesspiegel sagte Woidke: "Es darf grundsätzlich keinen Missbrauch von EU-Regelungen geben. Da müssen wir klar gegen halten. Auch weil sonst das Ansehen der EU und die Akzeptanz des freien Binnenmarktes Schaden nehmen."

„Das wird man sich jetzt noch mal konkret anschauen"

Die CDU reagierte ironisch: Partei-Vize Thomas Strobl nannte die Äußerungen Gabriels am Montag vor einer Sitzung des CDU-Präsidiums in Berlin „asbachuralt“. Der Vorschlag sei vor Monaten von der CDU gemacht und im Finanzministerium geprüft worden. Es gebe Schwierigkeiten, weil eine Kürzung mit dem Europarecht nicht ohne Weiteres zu vereinbaren sei. „Das wird man sich jetzt noch mal konkret anschauen. Aber schön, dass Herr Gabriel inzwischen auch auf der Spur ist.“

Die stellvertretende CDU-Vorsitzende Julia Klöckner ergänzte, Gabriel mache Vorschläge, die er sonst bei anderen als Populismus bezeichne. „Dort, wo es Anreize gibt, werden Menschen diese Anreize in Anspruch nehmen. Das darf man ihnen überhaupt nicht vorwerfen“, sagte die rheinland-pfälzische Parteichefin. Der Staat müsse sich allerdings fragen, ob in diesem Fall zu hohe Anreize geschaffen würden.

Gabriel hatte am Wochenende erklärt, die Freizügigkeit in der EU dürfe nicht missbraucht werden, um in Sozialsysteme einzuwandern. „Wenn ein Kind nicht bei uns lebt, sondern in seinem Heimatland, dann sollte auch das Kindergeld auf dem Niveau des Heimatlandes ausgezahlt werden“, sagte er. In manchen Großstädten Deutschlands gebe es „ganze Straßenzüge mit Schrottimmobilien“, in denen Migranten nur aus einem Grund wohnten: “Weil sie für ihre Kinder, die gar nicht in Deutschland leben, Kindergeld auf deutschem Niveau beziehen.“

Bezug von Kindergeld als Lebensgrundlage?

Das Problem ist nicht neu und auch in Berlin wohlbekannt. Schon vor mehr als drei Jahren hatte beispielsweise Neuköllns damalige Bildungsstadträtin und heutige Bezirksbürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) darauf hingewiesen, dass die Lebensgrundlage für viele rumänische und bulgarische Familien, die in ihrem Bezirk wohnten, das in Deutschland gezahlte Kindergeld sei. Damals betrug das Kindergeld in Rumänien und Bulgarien sieben bis zehn Euro, heute ist es etwas mehr, sagte eine Rumänin. „In Bukarest bekomme ich nur etwa 20 Euro für jedes Kind, hier fast das Zehnfache.“

Hamze Bytyci kennt auch viele Familien, deren ältere Kinder noch in Rumänien und Bulgarien beispielsweise bei den Großeltern leben. Bytyci ist Schauspieler, Vorsitzender von „RomaTrial e.V.“, einer transkulturellen Selbstorganisation, um die komplexen Problematiken des „Zigeunerhasses“ abzubauen, sowie Vorstandsmitglied der Berliner Linken. „Es wäre natürlich besser, wenn sie hier wären“, sagt er. „Jedes Kind sollte in Sachen Nahrung, Wohnung und Bildung ein gewisses Niveau haben, aber das ist ja auch hier nicht gewährleistet.“ Oft würden die Eltern – bei den Rumänen eher die Väter, bei den Bulgaren die Mütter – in harten Gelegenheitsjobs arbeiten, müssten sich teils wie Sklaven für einen geringen Stundenlohn verdingen.

Selbst Saisonarbeiter aus anderen Ländern, deren Kinder in ihrer Heimat leben, haben Anspruch auf Kindergeld. Sie müssen nur einen Wohnsitz in Deutschland haben.

© Manfred Thomas

Mehr Kindergeld geht an EU-Inländer

„Auf den Rücken dieser Menschen Wahlkampf zu machen, ist schäbig“, sagt Bytyci. „Diese Forderung von Sigmar Gabriel ist reiner Populismus, aber noch trauriger ist es, dass sie jetzt – offenbar weil der Wahlkampf beginnt – ausgerechnet von der SPD kommt. Da muss man sich nicht über das Erstarken der AfD wundern.“ Und Bytyci unterstellt dem SPD-Vorsitzenden, wider besseres Wissen zu handeln. „Gabriel weiß genau, dass es Urteile des Europäischen Gerichtshofs zu dem Thema gibt“, sagt er. Demnach müsse das Geld auch gezahlt werden, wenn die Kinder im Ausland leben.

Aber sind Menschen aus Rumänen und Bulgarien überhaupt diejenigen, die das meiste Kindergeld erhalten? Nein, sagt Pressesprecher Paul Ebsen von der Bundesagentur für Arbeit. Und kann das auch mit aktuellen Zahlen belegen: Im Jahr 2016 haben die Familienkassen knapp sechs Milliarden Euro an mehr als zwei Millionen Kinder von in Deutschland lebenden EU-Bürgern gezahlt – das meiste an polnische und italienische Bürger mit 231.000 beziehungsweise 131.000 Kindern. Danach folgen Serbien (128.000), Rumänien (107.000), Kroatien (81.000), Griechenland (80.000), Bulgarien (65.000), Staaten der einstigen UDSSR (62.000), Bosnien/Herzegowina (45.000), Ungarn (34.000), Kosovo (33.000), Portugal und Spanien mit je 32.000 und Holland (29.000).

Auch bei den Kindern, die nicht in Berlin leben, sind die Polen mit Abstand die größte Gruppe (87.000). Es folgte Rumänien (15.000), Kroatien (12.000), Tschechien (9000), Ungarn (8600), Bulgarien (5500) und Griechenland/Italien mit 3300. Insgesamt zahlt Deutschland für nicht in Deutschland lebende Kinder 476 Millionen Euro im Jahr.

Die Zahlen für Berlin und Brandenburg konnte die Behörde am Wochenende nicht bereitstellen. Man kann aber davon ausgehen, dass in Berlin etwas mehr Familien aus Rumänien und Bulgarien leben als im Bundesdurchschnitt. In Brandenburg wiederum spielen die Saisonarbeiter eine größere Rolle, denn auch ihnen steht nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom Sommer 2012 Kindergeld zu. Und zwar ausdrücklich auch dann, wenn ihre Kinder weiter im Heimatland leben. (mit dpa)

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