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Im März die Schule wieder verlassen? Bei den Besetzern sieht man das nicht so eng, begreift das Gebäude in der Reichenberger Straße und das Camp auf dem Oranienplatz vielmehr als permanente Bastionen im Kampf um die geforderten Flüchtlingsrechte.

© Christian Mang

"Kälte-Hilfe" für Besetzer: Bezirk setzt Frist - Flüchtlinge wollen aber bleiben

Bis Ende März werden die Flüchtlinge und ihre Unterstützer in der Kreuzberger Schule geduldet. Danach sollen neue Mieter einziehen. Im Camp will niemand davon wissen. Bezirksbürgermeister Franz Schulz bleibt gelassen: Er setzt auf eine Auflösung der Proteste aus Ermüdung.

Zwei Frauen kommen mit einer großen Plastiktüte voller Kindersachen. Der junge Mann im Informationszelt der Flüchtlinge auf dem Kreuzberger Oranienplatz, gegen die Kälte eingepackt wie ein Polarforscher, ist unentschlossen. Kindersachen habe man massenweise, sagt er, doch dass die Frauen die Sachen wieder mitnehmen, will er auch nicht. So geht das den ganzen Tag über zwischen der Handvoll großer Zelte auf dem Platz an der Oranienstraße, der Schlagader Kreuzbergs: Eine silberhaarige Frau bringt etwas zu essen und eine Packung Toilettenpapier – das könnten die Flüchtlinge in der Schule brauchen, sagt sie. Eine andere zückt ihr Portemonnaie.

So sicher wie die Hilfe von außen, so gut funktioniert das Camp der Flüchtlinge, die nun in Kreuzberg eine gar nicht mehr provisorische Bleibe gefunden haben. Bestens organisiert sei die „neue Ära des Protests“ gegen das deutsche Asylrecht, heißt es auf der Internetseite refugeetentaction.net. Auf dem Oranienplatz wie auch in der seit ein paar Tagen besetzten Gerhart-Hauptmann-Schule in der Reichenberger Straße sitzen junge Frauen und Männer, die sich als Unterstützer bezeichnen. Sie wollen Passanten und Neugierige informieren, doch zu Neugierige werden nach gewohnter stramm linker Manier auf die Grenzen der Informationsfreiheit in der Schule hingewiesen. Die darf nicht einfach so besichtigt werden. Interviewanfragen werden erst nach angeblicher interner Diskussion erfüllt.

So erzählt dann eine junge Frau namens „Napoli“ auf Englisch, wie sie vom Sudan nach Deutschland gelangt ist: zeitweise per Schiff, zeitweise in einen Container gepfercht, eine traurige Geschichte, eine von vielen. Vor allem erzählt die Afrikanerin in einem der Zelte, in dem ein Gasofen bullige Hitze verströmt, dass sie und die anderen Bewohner des Camps sich in Kreuzberg bestens aufgenommen fühlen. Die Zelte auf dem Oranienplatz stehen dafür, dass die Flüchtlinge nun kämpfen wollten, sagt sie. Die Residenzpflicht, die Versorgung nur mit Gutscheinen, das Arbeitsverbot – das alles wollen sie abgeschafft sehen. Der „Kampf“ mit der Bundespolitik finde auf dem Oranienplatz statt, sagt sie, die Schule in der Reichenberger Straße sei der Ort, an dem sich Kranke erholen könnten und die Kinder Ruhe hätten.

Franz Schulz hat mit Besetzungen schon Erfahrung.

Franz Schulz, der grüne Bürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg, nimmt solche Ankündigungen ernst, aber nicht zu ernst. Wie schon bei der Besetzung des früheren Künstlerhauses Bethanien am Mariannenplatz setzt Schulz auf die ermüdende Wirkung ausgedehnter Kompromisssuche. Als vor sieben Jahren eine Hausbesetzergruppe einen ganzen Flügel des ehemaligen Hospitals bezog, gab es im Kiez die übliche „Solidarität“, aber auch Krach: Die Organisatoren des Künstlerhauses stritten mit den Besetzern über deren Art, sich breitzumachen, von Schmarotzertum war die Rede. Bürgermeister Schulz moderierte an dem Konflikt so lange herum, bis der Konflikt müde war. Die Leute vom Künstlerhaus zogen aus, die Besetzer wurden Mieter. Die Lösung war kreuzbergtypisch: Linke Basisdemokratie und Verbalradikalismus setzen sich politisch gegen die ordentlichen (Künstlerhaus-)Mieter mit ihrem elitär-bürgerlichen Publikum durch. Dazu gehört, dass dies den Bezirk Geld gekostet haben dürfte, weil über längere Zeit keine Mieten gezahlt wurden.

Auch im Umgang mit dem Rückzugsort der Flüchtlinge in der alten Schule will Schulz nun moderieren, indem er den Konflikt so lange abschleift, bis er rund ist. Erst einmal sollen die Flüchtlinge dort so lange bleiben dürfen, wie es nach Maßgabe der „Kältehilfe“ üblich ist: bis Ende März. Derweil will der Bürgermeister in einem „Werkstattverfahren“ mit einer Reihe von Bewerbern und den Nachbarn der Schule deren weitere Nutzung klären. Von einer Sprachenschule bis zu einer Praxis von Ärzten, die Aidskranke versorgen, gebe es Interessenten, sagt Schulz. Die Befristung bis Ende März decke sich mit den Forderungen der Flüchtlinge: Die seien nicht nach Berlin gekommen, um hier zu wohnen, sie wollten das Flüchtlingsrecht ändern.

Aktivistin Napoli stellt das alles etwas anders dar: Von einer zeitlichen Befristung des Rückzugsorts will sie so wenig wissen wie von einer Auflösung des Camps auf dem Oranienplatz. Beide Orte blieben in der Hand der Flüchtlinge, bis das Flüchtlingsrecht geändert sei, sagt sie. Der „Kampf“, sagt Napoli und sieht dabei sehr entschlossen aus, werde so lange dauern, bis die Flüchtlinge bessere Rechte hätten. Ein Pakistaner und ein Tunesier, ebenfalls Bewohner der Zelte auf dem Platz, bekräftigen das.

Schulz setzt getreu dem Bethanien-Prinzip auf den Faktor Zeit. Die Flüchtlinge würden irgendwann nicht mehr in großen runden Zelten leben wollen, sagt er. Mit Blick auf die Schule verlasse er sich auf das, was ihm Sprecher der Flüchtlinge zugesichert hätten. Und sonst? Auch das gehört zum Bethanien-Prinzip: Eine polizeiliche Räumung, so der Bürgermeister, „wollen wir nicht und werden das auch verhindern“.

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