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Berlin: Käpt’n Hildebrandts Abenteuer

Wie ein Berliner im Packeis überlebte, warum ein junger Elefant sterben musste, was Karl May ärgerte: Carl-Peter Steinmanns neues Buch erzählt die Geschichten hinter den Fassaden der Stadt

Der charmante Gastgeber war dem Tod nur knapp entronnen. Neun Monate hatte er mit 13 weiteren Seeleuten auf einer Eisscholle überlebt. Ihr Dampfer „Hansa“ war am 23. Oktober 1869 bei der zweiten deutschen Nordpolexpedition im Packeis zerquetscht worden, danach trieben sie an Grönlands Küste entlang, bis sie eine Siedlung erreichten. Doch nun, 20 Jahre später, lud der schwarzbärtige Kapitän a.D., Richard Hildebrandt, mit seiner anmutigen Frau Louise zum Salon in seine neu erbaute Villa an der Fasanenstraße 23 ein. Im Wintergarten plauderte die Prominenz unter Palmen. Die Hildebrandts galten als kunstsinnige, weltoffene Gastgeber.

Auch heute ist ihr einstiges Zuhause ein Treff der Schöngeister. Die stattliche Klinkervilla in Ku’dammnähe beherbergt das Literaturhaus Fasanenstraße mit einem Café-Restaurant und vielfältigem Leseprogramm. Man kann dort in der Parkanlage neben dem plätschernden Brunnen die Spätsommersonne samt Milchkaffee genießen und die Spatzen auf der Freitreppe zum Wintergarten beobachten, dessen Plätze besonders begehrt sind. Nun vertieft man sich am besten in eine Lektüre, die im Buchladen im Souterrain der Villa pünktlich zur Buchmesse erhältlich ist: „Von Karl May zu Helmut Newton – Spurensuche in Berlin“.

Darin schreibt Carl-Peter Steinmann über Häuser und Menschen, die für das Ungewöhnliche und Einmalige Berlins stehen: Wechselbäder von Idylle und Schrecken, Verrücktheiten der Politik wie der Kulturgeschichte, Sensationelles im Alltag. Deshalb erzählt er auch die Geschichte der Fasanenstraße 23. In den 60er Jahren etablierte sich dort eine Strip-Bar, die 1965 Schlagzeilen machte: Im Keller war ein junger Elefant in seinem Verschlag verendet. Er musste vor den Gästen tanzen, mit dem Rüssel Mundharmonika spielen und eine Stripperin entkleiden. Später wäre die Villa beinahe den Abbruchplänen für eine Stadtautobahn zum Opfer gefallen, seit den achtziger Jahren gehört sie dem Land und ist der Literatur gewidmet.

Carl-Peter Steinmann, Jahrgang 1946, sammelt und erzählt leidenschaftlich Berliner Stadtgeschichten, bietet Führungen an und hat als Mitarbeiter des Tagesspiegels Stadtspaziergänge für Leser konzipiert. Im Transit-Verlag veröffentlichte der Kenner der Kriminalhistorie sein erstes Buch „Tatort Berlin“, es folgte „Von wegen letzte Ruhe“ mit ausgegrabenen Geschichten über spannende Persönlichkeiten auf Berlins historischen Friedhöfen – nun lädt er zur Spurensuche ein.

Zum Beispiel ins Kriminalgericht Moabit, wo sich Karl May 1911 gegen Presseangriffe zur Wehr setzte, er sei ein „Lügner “. Oder ins Künstlerhaus zum St. Lukas am „Theater des Westens“, wo die Käthe-Kruse-Puppe erfunden wurde. Im Buddhistischen Haus in Frohnau erinnert Steinmann an den Erbauer des Tempels, Paul Dahlke. Im Grunewald geht es ums Palais Pannwitz und die Liebschaft Kaiser Wilhelms II. mit Catalina Pannwitz. In Kreuzberg um „seine Hoheit“ im Hinterhof – die Geschichte des abgetauchten Erzherzogs Ferdinand von Österreich. Und in Charlottenburg ums heutige Hotel Bogota an der Schlüterstraße 45: Hier hatte die Fotografin Yva ihr Studio. Sie bildete dort in den 30er Jahren einen später berühmten Kollegen aus: Helmut Newton.

Wer das Buch im Garten des Literaturhauses Fasanenstraße studiert, sollte beim Bezahlen noch einen Wunsch äußern: dass ein Porträt der einstigen Hausherrin, Louise Hildebrandt, wieder an seinen Platz im Kaminzimmer zurückkehrt – es wurde auf den Speicher verbannt.

— Carl-Peter Steinmann: Von Karl May zu Helmut Newton. Spurensuche in Berlin. Transit Buchverlag, Berlin. 143 Seiten, 20 Abbildungen,

14,80 Euro.

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