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Mittendrin. Selbst Touristen wissen, wo die Bundeskanzlerin wohnt.

© Mike Wolff

Kanzlerwohnung: Wo die Macht wohnt

Angela Merkel will darauf verzichten, die Fassade ihrer Berliner Privatadresse in Google Street View unkenntlich machen zu lassen. Das Haus kenne doch jeder. Stimmt das? Ein Besuch.

„Hier könnte es sein“, sagt die Frau mit der dicken Kette um den Hals und zeigt über den Damm auf das vierstöckige Wohnhaus. Ihr Mann – Strohhut im Genick, Fotoapparat im Anschlag, beide „aus einem Nest bei Bonn“ – möchte es genauer wissen. Er geht über die Straßenbahngleise, steuert direkt auf das Haus Kupfergraben 6 zu und blickt auf das goldblitzende Tableau. „Sauer steht drauf“, sagt er triumphierend, „Prof. Sauer“. Na also. Hier isses. Hier wohnt Angela Merkel, die Bundeskanzlerin. Mitten im Trubel von Berlin und doch am stillen Wasser des trägen Kupfergrabens.

Ob ihr Wohnhaus an der Museumsinsel wohl bei Google Street View auftauchen wird? Darüber hat sich auch die Kanzlerin ihre Gedanken gemacht. Allerdings sei ihr persönlicher Wohnsitz „ohnehin bereits ziemlich oft abgelichtet worden und bekannt“, hat sie erzählt, deshalb lässt sie das Haus auch nicht verpixeln.

Der Wohnkasten beherbergt die mächtigste Frau der Republik, oben, im dritten Stock. „Da könnte sie doch nun mal das Fenster öffnen, wir würden auch winken“, sagt eine Touristin, aber ihr Mann brummt, dass sie keine Zeit habe, weil sie entweder regieren oder kochen müsse. „Um diese Zeit ist sie längst weg“, erläutert ein Berliner, der in einem der Büros in den beiden unteren Etagen arbeitet. Ihn nervt, dass er kaum aus der Tür kommt, weil Neugierige den Eingang blockieren und Busse beim Merkel-Stop dauernd ihren Motor laufen lassen. „Dreiviertel acht fährt sie zum Dienst“, hat der Mann beobachtet, „und wenn sie irgendwann mal mit ihren Bodyguards angerauscht kommt, dann nur, um sich umzuziehen, und huschhusch ist sie wieder weg.“

Das Haus mit der Macht als Mieter ist quasi ein öffentliches Gebäude, ein schön restauriertes Wohnhaus für jedermann – dagegen wirkt das Kanzleramt wie eine Trutzburg, vor der niemand auf die Idee käme, ein fröhliches „Hallo, Ändschie“ zu rufen. Hier schon. Und deshalb fühlen sich die Polizisten vor der Haustür der abwesenden und dennoch präsenten Kanzlerin auch als Teil dieser Öffentlichkeit. Einer möchte sein Gesicht verpixeln, die anderen hätten nichts dagegen, von Googles Klick beim Straßenblick erfasst zu werden, „denn die Leute fotografieren ja sowieso – das Haus und uns, die freundlichsten Polizisten von Berlin“.

Rechts neben Merkels stand einst ein Haus, in dem Hegel wohnte, links steht auf einer Gedenktafel etwas von „Ed. Hildebrandt“. „Was, Regine Hildebrandt?“, fragt die Frau aus dem Rheinland, aber der Polizist klärt die Sache sofort auf: Der Mann hat Humboldts Reisen illustriert. Prominente Gegend. Lothar Heinke

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