zum Hauptinhalt
Verborgene Pläne. Kardinal Rainer Maria Woelki ist seit August 2011 Erzbischof von Berlin – und er hat gute Chancen, im kommenden Jahr den Vorsitz der Deutschen Bischofskonferenz zu übernehmen. Foto: dpa

© picture alliance / dpa

Berlin: Kardinales Unverständnis

Rainer Maria Woelki, Erzbischof von Berlin, will seine Gemeinden radikal zusammenlegen. Die Gläubigen sollten mitreden, doch davon ist nichts geblieben. Viele Katholiken sind entsetzt.

Es hatte doch alles so gut angefangen mit Kardinal Rainer Maria Woelki und den Berliner Katholiken. Die Art, mit der er auf die Menschen zuging, und sein Werben für einen menschlicheren Umgang der Kirche mit Homosexuellen und wiederverheirateten Geschiedenen machten Hoffnung, dass der 56-Jährige vielleicht doch zu den Liberaleren gehört unter den deutschen Bischöfen. Und jetzt das. Woelki will das Erzbistum tiefgreifend umstrukturieren, die 100 Gemeinden sollen bis 2020 zu 30 Großpfarreien fusionieren. Vor einem halben Jahr forderte er die Katholiken auf mitzudenken und sprach von „geschwisterlicher Zusammenarbeit“. Jetzt heißt es: Steht schon alles fest. Viele der 400 000 Katholiken im Erzbistum sind enttäuscht und entsetzt.

Zum Beispiel die Plümpes. Vor drei Jahren sind sie vom Niederrhein nach Berlin gezogen, der Kinder wegen. In der Gemeinde „Heilige Familie“ in Prenzlauer Berg haben die pensionierten Religionslehrer eine neue Heimat gefunden, Angelika Plümpe ist Vorsitzende des Pfarrgemeinderats. „Tolle Gemeinschaft“, sagt sie und zeigt ein Papier, auf dem sie die Aktivitäten der Gemeinde aufgelistet hat. 20 Pfeile zeigen zu Theatergruppen, Chören, Familienkreisen. Das alles sei gefährdet, sagt Plümpe. Denn die Pfarrei mit 6500 Mitgliedern, viele junge Familien, soll in einer XXL-Pfarrei mit vielleicht 20 000 Menschen aufgehen. „In so einem riesigen Verband engagiert sich doch keiner mehr“, sagen die Plümpes. Sie fürchten Anonymität, Unübersichtlichkeit und Fremdheit. Ältere Menschen fragen: „Welcher Pfarrer beerdigt mich? In so einem Großverband kennt mich doch keiner.“

Der Kardinal deutete die Umbrüche im Advent in einem Hirtenbrief an. „Wo Glauben Raum gewinnt“, taufte er seine Agenda 2020. Nur am Rande erwähnte er Mitgliederschwund und absehbaren Priestermangel. Viele Priester gehen bald in Ruhestand, Nachwuchs fehlt.

Die einzelnen Gemeinden sollen innerhalb der 30 Großverbände zwar bestehen bleiben, verlieren aber ihre Eigenständigkeit. Sie dürfen nicht mehr über ihre Finanzen entscheiden, haben keinen Pfarrgemeinderat und auch keinen Kirchenvorstand. Alles soll zentral geregelt werden. Langfristig, wenn es immer weniger Priester gibt, werden die Gläubigen sonntags wohl nur noch an wenigen Orten zur Messe zusammenkommen. Denn die katholische Messe beinhaltet immer eine Eucharistiefeier (das katholische Abendmahl), und die darf nur von einem geweihten Priester abgehalten werden. Andere sonntägliche Gottesdienstformen erlaubt Woelki nicht. Viele Katholiken befürchten, dass ihre Kirchen verwaisen und die Wege länger werden. Für Woelki kein Problem: „Der Herr ist am Kreuz für uns gestorben, da frage ich doch nicht nach zwei Kilometern“, sagte er in einem Interview. „Das mag für Berlin funktionieren“, merkte dazu ein Pfarrer auf der Internetseite des Bistums an, „für Katholiken auf dem Land bedeutet aber die Verlängerung einer einfachen Strecke von 30 auf 60 Kilometer, dass Gottesdienste praktisch nicht mehr stattfinden werden“. Angelika Plümpe erzählt von älteren Katholiken, die sagen: Dann gehen wir lieber zu den Protestanten um die Ecke.

Vor zehn Jahren hat das Erzbistum schon einmal eine Fusionswelle erlebt, damals war der Anlass eine akute Finanzkrise. Ein Stimmungsbild auf der Internetseite des Erzbistums zeigt, dass viele fürchten, erneut „untergebuttert“ zu werden, dass nur der Priester- und Bischofswille zählt, dass die anfängliche Freiheit, die Woelki versprochen habe, Fassade sei.

Denn nicht nur für die Plümpes sieht es so aus, als würde der Kardinal sein Programm autoritär durchsetzen. Sie haben Woelkis Aufforderung ernst genommen und sich mit Pfarrgemeinderäten eingebracht in den Veränderungsprozess. Sie haben dem Kardinal Briefe geschrieben und ihn gebeten, über Alternativen zu den Großpfarreien nachzudenken. Sie haben gefragt, warum nicht auch in Berlin qualifizierte Laien Gemeinden leiten können, so wie es in anderen Teilen der Weltkirche der Fall ist. Und ob es sonntags Gottesdienste geben könnte, bei denen nicht zwingend ein Priester dabei sein muss. Zusammen mit der Gemeinde St. Laurentius in Tiergarten haben sie einen Studientag veranstaltet. Ein emeritierter Theologe erklärte den 150 Zuhörern, warum der neue Zuschnitt der Verwaltungsbereiche nur eine Übergangslösung sein könne und der Priestermangel grundsätzlich angegangen werden müsse. Zum Beispiel indem man den Pflichtzölibat abschafft oder „Viri probati“, erfahrene, verheiratete Männer zu Gemeindeleitern macht.

Ende August wollten die Plümpes mit Dutzenden anderen Katholiken den Arbeitskreis „Alternativen zum Pastoralplan 2020“ gründen. Doch dann wurde Ernst Pulsfort, der Pfarrer von St. Laurentius, vom Generalvikar des Bistums vorgeladen. Ihm wurde Illoyalität vorgeworfen. Pulsfort und der Pfarrer von „Heilige Familie“ sagten die Gründung des Arbeitskreises ab und zitierten zur Begründung den Generalvikar: „Alternativkonzepte zu den Zielvorgaben des Erzbischofs hätten keine Chance auf Umsetzung. Euer Arbeitskreis ist somit sinnlos und erweckt bei den Teilnehmern allenfalls falsche Hoffnungen.“

Angelika Plümpe zeigt entsetzte Mails, die sie von anderen Pfarrgemeinderäten auf die Absage des Arbeitskreises hin bekommen hat. „Ihre Nachricht hat mich tief erschüttert“, schreibt ein Mann aus Frankfurt (Oder). „Ist doch alles eine Farce“, schreibt ein anderer. Sein Vertrauen ins Personal des Bistums sei auf dem Nullpunkt angekommen. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass da etwas Gutes rauskommt, wenn die Strukturen von vornherein feststehen“, sagt Hans Joachim Meyer, früherer Vorsitzender des Zentralkomitees der deutschen Katholiken und Berliner Gemeindemitglied. Er erinnert daran, dass es in der DDR üblich war, dass beauftragte Gemeindemitglieder sonntags predigten und die geweihten Hostien austeilten, wenn kein Priester da war. Sonst hätten viele Gemeinden in der Diaspora nicht überlebt. „Warum soll heute etwas jenseits jeder Debatte sein, was zu DDR-Zeiten möglich war?“ Wolfgang Klose, der Vorsitzende des Diözesanrates, der die Katholiken im Bistum vertritt, nimmt „eine große Verunsicherung“ wahr. Es müsse nicht nur Raum für Glauben geben, sondern auch Raum für mehr Diskussion, sagt er.

Auch in anderen deutschen Bistümern werden XXL-Pfarreien geschaffen. Wie sie aussehen sollen, was erlaubt ist und was nicht, hängt sehr vom Bischof ab.

„Dass am Ende 30 Pfarreien übrig bleiben sollen, ist nicht verhandelbar, auch nicht, dass sonntags nur der Priester die Messe feiern darf“, sagt der Berliner Bistumssprecher. Auch der Zölibat sei für Woelki nicht diskutabel. Daran ändere auch nicht, dass im März sogar der Nuntius, der Botschafter des Papstes in Berlin, erklärt hatte, dass der Zölibat „kein Dogma“ sei und man darüber weltkirchlich diskutieren könne. Woelki gehört nicht zum liberalen Lager, so viel ist klar. Vermutlich hat er genau deshalb 2014 gute Chancen, den Vorsitz der Deutschen Bischofskonferenz zu übernehmen, wenn der Freiburger Erzbischof Robert Zollitsch das Amt aus Altersgründen abgibt.

Viele Berliner Katholiken hoffen auf Papst Franziskus. Der hatte 2010 als Erzbischof von Buenos Aires daran erinnert, dass die Kirche zu den Menschen kommen muss und nicht umgekehrt. Wenn es nicht genug Priester gibt, sollten die verbleibenden „Garagen mieten und wenigstens von einem Laien Wortgottesdienst mit Kommunion halten lassen“. Die Plümpes werden vielleicht Unterschriften sammeln. Noch geben sie nicht auf.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false