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Hände hoch. Schon seit Tagen sind Berliner Narren, wie hier im Gaffel-Haus, mehr oder weniger aus dem Häuschen.

© PWB/Gaffel-Haus

Karneval in Berlin: "Ich bin kein Mann für eine Nacht"

Der Berliner Rosenmontag startete im Gaffel-Haus und in der Ständigen Vertretung. Ein Besuch vor Ort.

„Schöndatdedabess“ steht über der Theke neben dem Flachbildschirm. Die paar Gäste, mit denen im Gaffel-Haus an der Dorotheenstraße südlich der Spree der Rosenmontag beginnt, dürfen den Reklameslogan persönlich nehmen. Seit 10.11 Uhr wird hier „De Zoch kütt“ aus Köln übertragen. Alles scheint auf Massenchaos eingestellt, Getränke gibt’s nur gegen Verzehrmarken, aber fürs erste bleibt der Ansturm übersichtlich.

Ein schwieriger Feiertag: Orkanbedingtes Pferdeverbot in Köln, Zug-Storno in Düsseldorf und Mainz. Im Gaffel-Haus heben Luftballons und närrische Plastikreliefs das Ambiente. Die Bühne wartet auf den Stimmungsmacher. Der DJ mit blinkendem Cowboyhut räsoniert vor dem Fernseher (auf dem rheinische Spötter mit Pappfiguren ihre „Statt Verwaltung“ verhohnepipeln): über die Karnevals-Rivalität zwischen Gaffel-Haus und Ständiger Vertretung (StäV) am Schiffbauerdamm; über Anwohnermeckerei, mit der man im preußischen Exil fertigwerden muss.

"Diese Stadt ist eine Hölle, diese Stadt ist wunderschön"

Doch um 12.41 Uhr passiert es. Bis dahin hatten die Bienen-Lady und das Männlein mit blauer Melone so dahergequatscht. Der Bürotyp im weinroten Pollunder und der Kapuzenriese starrten in ihre Smartphones. Der Kölner, dessen knallrote Kostümschürze bei der Ankunft noch im Pastiktütchen verborgen war, breitete Erinnerungen aus von tollen Tagen in der Heimat. Die zwei weißen Arzt-Gestalten behaupteten, sie seien hier im Bereitschaftsdienst. Die Kellnerin trug ihr T-Shirt „Drink doch eene mit“ charmant durch den Saal, die Chefin ihr orangefarbenes Pailettenjäckchen.

Das reife Paar, Barockperücke und Minirock-Vamp, war zum Rauchen vor die Tür gegangen. Aber um 12.41 Uhr dreht der DJ auf, klettert an die Wand zur Justierung der Boxen: „Kölle Alaaf“ heißt der Start-Choral. Die stämmige Dame mit Stange Kölsch, viel Rouge und rotschwarzgeflammtem Kleidchen stimmt sehnsüchtig ein. Viele singen voller Hingabe mit. „Eemal Prinz zu sin in Köln am Rhin“ heißt der demokratische Traum, und „Wir lasse den Dom in Kölle“ der pragmatische Kompromiss. „Colonia – diese Stadt ist eine Hölle, diese Stadt ist wunderschön“ – soviel Dialektik, zur Melodie von „Valencia“! Draußen nieselt es Grau in Grau. Die „Drink-doch“-Kellnerin wiegt sich hinterm Tresen.

Um 13 Uhr sieht es am nördlichen Spreeufer in der „StäV“, der ältesten rheinischen Enklave, ähnlich und anders aus. Girlanden, Ballons, Luftschlangen. Hier produzieren die Kellner – der Dunkelhäutige mit Pappnase und die kleine, starke Karibin mit grellblonder Perücke, Polizei-Mini-Kostüm und Handschellen – das Flair.

Die meisten Gäste langweilen in Zivil. Ernste Gesichter. Das DJ-Duo legt Faschings-Folk auf: „Unsre janze Stadt is ne Riese-Kamell, lutsch se langsam, lutsch se schnell“, wer singt da schon mit? Aber auch Beispiele nachhaltiger Jecken-Erotik: „Ich bin kein Mann für eine Nacht, das habe ich noch nie gemacht. Es muss die wahre Liebe sein, für eine Nacht bleib ich lieber allein.“ Die Mutti mit Katzenöhrchen wippt ihr Kind im Känguruh-Sack. An der Theke richten sich zwei junge Frauen ein, eine mit Tiger-Makeup, Hand im Gips, die andere mit lila Perücke. Eine Japanerin steckt ihr Handy ein, lässt ihr Weizen halbvoll stehen und geht.

"Von Ihnen möchte ich mich mal verhaften lassen"

Peter, der Architekt mit Lederhut, kommt aus Schlesien, Sachsen und seit 1984 aus Berlin. Auf die Reporterfrage, ob man Karneval mit „Kokolores“ oder „Firlefanz“ umschreiben könnte, geht der bekennende Ostdeutsche gar nicht ein. Er kommt wegen der „lockeren Heiterkeit“ und der Musik, „ich mag die Stimmung – die Sie hier nicht finden“.

Früher sei es in der „StäV“ anders und voller gewesen, man sei dann in leere Keller im Umkreis gezogen; mittlerweile werde aber alles auf die Party in der Kulturbrauerei ausgerichtet, zu der man an diesem Nachmittag noch per Shuttle transportiert werde, soweit man das wolle: „Viel zu voll, eine einzige Rammelei, Bauch an Bauch“. Naja, ab und zu habe er da trotzdem eine nette Tänzerin gefunden. Zur Kellnerin im Polizisten-Look sagt der 79-Jährige: „Von Ihnen möchte ich mich auch mal verhaften lassen.“ An der Decke hängt ein zweisprachiges Schild „Bitte achten Sie auf Ihre Handtasche“, aber Anmach-Sprüche sind hier, uff, noch nicht untersagt.

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