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Kaufhaus: Hertie-Schließung: Was bleibt, sind Plastikbügel

Das traditonsreiche Kaufhaus Hertie in der Turmstraße schließt am Sonnabend. Schöneberg und Tegel folgen eine Woche später.

Zehn Paar goldfarbene Pantoffeln wirft die Verkäuferin auf den Glastisch. „Das sind die letzten“, sagt sie und tritt mit dem Fuß kräftig auf den Karton vor sich. Eine Frau mit Kopftuch drängelt sich an der Verkäuferin vorbei, greift nach der Größe 39. Der Mann neben ihr hält prüfend ein glitzerndes Schläppchen in der Hand. „Könnte meiner Frau gefallen“, murmelt er. Wühltische, geplünderte Regalreihen, lange Schlangen an den Kassen: Das Kaufhaus Hertie macht dicht. Mitte Mai hat der Eigentümer Dawnay Day beschlossen, alle 73 Hertie-Filialen bundesweit zu schließen. In Berlin macht am morgigen Sonnabend die Filiale in der Turmstraße in Moabit den Anfang. Die Häuser in Schöneberg und Tegel folgen eine Woche später.

„Früher haben meine Freundinnen und ich uns im Hertie-Café zum Kaffeeklatsch getroffen“, sagt Hildegard Neumann. „Danach sind wir immer noch bummeln gegangen.“ Das Café in der dritten Etage gibt es nicht mehr, der zweite Stock ist auch schon geräumt. Seit über zwanzig Jahren kommt Neumann zu Hertie. „Es ist eine Schande“, sagt die 72-Jährige. „Da bricht ein Stück Berlin weg.“ Tischdeckchen kosten einen Euro, Schlüpfer und Strumpfhosen werden für ein Zehntel des Originalpreises verramscht. Viel ist nicht mehr übrig. Der kleine Frederick rast mit seinem Dreirad durch die Halle, fährt über rot-weiße Absperrbänder. Es knirscht und knackt, wenn die Räder über die Plastikbügel auf dem Boden rollen. „Lass’ das!“ ruft Luisa Werner dem 4-Jährigen zu. Werner freut sich über die Schnäppchen und kauft auf Vorrat. „Wenn Hertie zu ist, muss ich bis nach Wilmersdorf zum Einkaufen fahren“, sagt die 35-Jährige.

Mit dem Räumungsverkauf macht ein Warenhaus mit Geschichte den Abgang. Seit knapp einhundert Jahren gibt es Hertie in Berlin. Die Filiale in Moabit hat den Krieg überstanden, hieß zwischendurch Karstadt und seit 2005 schließlich wieder Hertie. Ab Montag steht das Haus leer, und die Leute stehen auf der Straße. In Berlin sind insgesamt 260 Mitarbeiter betroffen. „Letztlich ist Hertie an den horrenden Mieten gescheitert“, sagt Janet Duman von der Gewerkschaft Verdi. Monatelang hat sie gemeinsam mit Wirtschaftssenator Harald Wolf (Die Linke) nach einer Lösung gesucht, mit den Besitzern verhandelt. Doch nicht nur Hertie muss gehen. Seit acht Jahren verkauft Einzelhändler Mario Hinz Strümpfe, Besteck und Uhren an einem Stand vor dem Kaufhaus. Hertie gibt ihm Lagerräume, man hilft sich beim Aufbauen. Konkurrenten sind sie nicht. Vier Leute hat Hinz schon entlassen. „Jetzt ist nur noch Uschi da“, sagt er. Hinz hat keine Ahnung, wie es weitergeht. Nebendran füllt Harald Böhm im Kiosk Lottoscheine nach. Vor wenigen Wochen hat sein Chef ihn in die Turmstraße geschickt. Zum Aufräumen. Böhm bestellt nur noch das Nötigste. „Lohnt sich ja nicht“, sagt er. Böhm hat erlebt, wie die Turmstraße sich verändert hat. 17 Jahre lang war er sein eigener Chef, hat Tabak, Zeitungen und Lottoscheine verkauft. „Die guten Geschäfte gehen den Bach runter“, sagt der 66-Jährige. „Jetzt gibt es nur noch Billigläden.“ Am Sonnabend macht Böhm das Licht aus. Und zieht weiter. In den nächsten Bahnhofskiosk. Tanja Tricarico

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