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Berlin: Kein Weg zur Wunschschule

Kreuzberg vergrault die letzten deutschen Eltern. In Prenzlauer Berg fehlen Plätze für die Erstklässler

Von Antje Sirleschtov

Rund 1000 Berliner Eltern bekommen dieser Tage schlechte Nachrichten per Post: Die Bezirksämter verschicken jetzt die Ablehnungsbescheide für die Erstklässler. Dies bedeutet, dass sich die Familien nach einer anderen Grundschule als der gewünschten umsehen müssen. Besondere Probleme gibt es aktuell in Kreuzberg und Prenzlauer Berg.

In Kreuzberg gehen jetzt vor allem Eltern auf die Barrikaden, die sich einen Platz an der Heinrich-Zille-Grundschule erhofft hatten. Die Schule ist nicht nur wegen ihrer guten Arbeit beliebt, sondern auch wegen der vergleichsweise geringen Migrantenquote. Etliche deutsche Eltern, die dort vergangene Woche abgewiesen wurden, drohen jetzt mit dem Wegzug aus Kreuzberg, da ihnen nur Ausweichschulen mit rund 90-prozentiger Migrantenquote angeboten werden. Unter dieser Bedingung bangen sie um die Bildungschancen ihrer Kinder. Erschwerend kommt hinzu, dass sogar Familien abgewiesen wurden, deren ältere Kinder schon die Schule besuchen.

Die erst im November gewählte Schulstadträtin Monika Herrmann (Grüne) sieht sehr wohl die Gefahr, dass auch noch die letzten Deutschen aus dem ehemaligen SO 36 wegziehen, wenn ihnen das Schulamt bei der Platzvergabe nicht entgegenkommt. Allerdings sind ihr rechtlich die Hände gebunden: Falls deutsche Kinder ohne Rücksicht auf die vorgegebenen Einzugsbereiche zugeteilt würden, bekämen die dann abgewiesenen Eltern vor Gericht auf jeden Fall Recht. Deshalb sei für dieses Jahr nichts mehr zu machen. Allerdings sagt Herrmann zu, die künftigen Einzugsbereiche „mit allen Gremien zu diskutieren“. Auf keinen Fall will sie sich künftig dem Vorwurf der „Überregulierung“ aussetzen. Aber sie gibt auch zu bedenken, dass es kein Verfahren gebe, mit dem man es allen recht machen könne.

Nicht weniger entsetzt als in Kreuzberg sind zurzeit Eltern in Prenzlauer Berg. Hier ist allerdings nicht die ungünstige Schülermischung das Problem, sondern der Kinderboom der letzten Jahre: Mehr als 100 Erstklässler können deshalb keine wohnortnahe Grundschule besuchen. Besonders betroffen ist der Kiez rund um Schönhauser und Prenzlauer Allee. Allein die Grundschule am Kollwitzplatz schickte dieser Tage fast 40 Eltern Ablehnungsbescheide, betroffen sind auch Kinder, die unmittelbar neben der Schule wohnen. Ähnlich geht es 30 Eltern mit der Grundschule an der Marie und 50 Eltern mit der Thomas-Mann- Grundschule. Wegen Überfüllung musste das Los entscheiden. Ausweichschulen, die benannt wurden, sind häufig fußläufig nicht erreichbar.

„Die Kapazitäten reichen einfach nicht“, gibt Schulstadträtin Lioba Zürn-Kasztanzowicz (SPD) zu. Und das ist offenbar erst der Anfang. Während die Kinderzahl in den fünften und sechsten Klassen zum Teil nur für zwei Parallelklassen ausreicht und noch vor einigen Jahren eine Schule wegen Kindermangels geschlossen wurde, plant die Stadträtin nun sogar die Eröffnung einer neuen Schule, was für die aufgebrachten Eltern aktuell aber zu spät kommt.

Für manche Erstklässler heißt es also ab Sommer: Rund 1,5 Kilometer Schulweg inklusive Überquerung von Hauptverkehrsadern. Die meisten Eltern haben Widerspruch gegen die Ablehnungsbescheide eingelegt, Elterninitiativen werden gegründet, das Bezirksamt rechnet jetzt mit Gerichtsverfahren. Die Stadträtin muss sich am Mittwoch vor der BVV rechtfertigen.

Die schulpolitische Sprecherin der FDP-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Mieke Senftleben, plädierte gestern dafür, die Schuleinzugsbereiche in Berlin abzuschaffen. Viel besser wäre ein transparenter Wettbewerb zwischen den Schulen. Eltern müssten das Recht haben, die Schule ihrer Kinder auszuwählen, sagte Senftleben. Eine Zuteilung durch die Behörden wäre dann endgültig passé. Die FDP-Fraktion vertritt diese Forderung bereits seit etlichen Jahren.

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