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Berlin: Keine Bildung, kein Benehmen Wirtschaft klagt über Lehrlinge

IHK und Wissenschaftler entsetzt über Defizite und fehlendes Durchhaltevermögen

Die Auszubildende duzt die Kundin im vornehmen Frisiersalon, die angehende Kauffrau kommt tagelang in derselben, verschmutzten Hüfthose ins Büro: Aktuelle Szenen aus Berliner Lehrbetrieben. Zu Beginn des neuen Lehrjahres klagen IHK und Handwerkskammer über mangelnde Umgangsformen der Auszubildenden. Zudem weisen viele Bewerber Mängel beim Rechnen und Schreiben auf – und haben wenig Durchhaltevermögen. Ein sehr hoher Prozentsatz von Lehrlingen bricht die Ausbildung vorzeitig ab.

In Firmen, die im Verbund ausbilden, trennt man sich einer Studie der Humboldt-Universität (HU) zufolge auffallend häufig wieder voneinander: In den Branchen Bau und Gastronomie gehen fast 50 Prozent der Lehrlinge wieder. „Eine irrsinnig hohe Abbrecherquote“, sagt Jürgen van Buer, Professor für Wirtschaftspädagogik an der HU (s. Interview). Bei den IHK-Betrieben und jenen der Handwerkskammer werden im Schnitt zehn Prozent der Ausbildungen vorzeitig beendet. Aber auch hier liegt die Quote in einzelnen Branchen höher. Dabei ist es für junge Berliner schwer, überhaupt eine Lehrstelle zu finden. Ende August suchten noch 10 639 Schüler einen Job – beim Arbeitsamt gemeldet waren gerade 2739 offene Stellen.

Einige Firmen sind von den Lehrlingen derart enttäuscht, dass sie gar nicht mehr ausbilden. Gerhard Schermer, Inhaber des Autohauses Wilhelmsaue in Wilmersdorf, hatte nach 15 Jahre „die Nase voll“. Das ging schon bei den Vorstellungsgesprächen los. Auf die Frage, was sie am Job reize, kamen Antworten wie „Das Arbeitsamt hat mich geschickt“ oder „Werde ja sehen, was mich erwartet.

Auch bei Großunternehmen wie Siemens sind immer wieder Klagen über „teils erschreckende Ergebnisse bei Bewerbungstests“ zu hören: schlechtes Deutsch, keine Allgemeinbildung. Hat es dann mit einem Lehrvertrag geklappt, hören die Probleme nicht auf. „Viele Betriebe klagen, dass sich Lehrlinge auffallend schnell krank melden“, sagt Almuth Draeger, Sprecherin der Handwerkskammer. Zudem widmen etliche Auszubildende dem Handy mehr Aufmerksamkeit als dem Kunden, der vor ihnen steht. Dabei wird das Auftreten am Arbeitsplatz immer wichtiger. „In vielen Jobs, die früher hinter den Kulissen ausgeübt wurden, ist heute ein Gespür für Service und Dienstleistung gefragt“, sagt Werner Gegenbauer, Präsident der Industrie- und Handelskammer. So wischen beispielsweise Fensterputzer in Einkaufszentren längst nicht mehr nachts – sondern bei Tage vor den Augen der Kundschaft.

Annette Kögel

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