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Berlin: Keine Ruhe nach dem Sturm

Ausnahmezustand am Hauptbahnhof: Ein tonnenschwerer Träger stürzte ab. Unwetterwarnung auch für heute Vormittag

Berlin hatte sich auf den angekündigten Sturm bestens vorbereitet – das schwerste Unglück ereignete sich dennoch am späten Abend am Hauptbahnhof. Der Orkan hatte zwei tonnenschwere Stahlträger von einem der beiden Bügelbauten abgerissen und einen dritten aus der Verankerung gerissen.

Einer der etwa zehn Meter langen und jeweils zwei Tonnen schweren Träger ist aus dem obersten Geschoss des Gebäudes aus etwa 36 Metern Höhe auf die Treppen gestürzt, die am Washingtonplatz in den Bahnhof führen. Die Träger gehören zu der Stahlkonstruktion, die die Bügelbauten halten. Sie sind außen an der Glasfassade angebracht. Einsatzkräfte von Polizei, Feuerwehr und Technischem Hilfswerk sperrten den Bahnhof weiträumig ab. Durch großes Glück wurde niemand verletzt. Der Bahnhof wurde evakuiert, der S-Bahnverkehr auf der Stadtbahn unterbrochen. Der Fern- und Regionalverkehr lag ohnehin lahm.

Die Einsatzkräfte rückten mit schwerem Gerät an, um die Unfallstelle zu sichern und vorzubeugen, dass weitere Teile der Stahlträgerkonstruktion aus dem Gebäude herausbrechen. Doch der Einsatz wurde durch die immer stärker werdenden Winde der zweiten Orkanwelle erschwert. Meterologen sagten voraus, dass Berlin ab etwa Mitternacht von weiteren schweren Orkanböen betroffen werden könnte. Unklar war bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe, ob die Statik des Bügelgebäudes am Hauptbahnhof durch diesen schweren Sturmschaden in Mitleidenschaft gezogen worden ist, und ob der Bahnhof schon heute wieder seinen gewohnten Betrieb aufnehmen kann.

Bereits um 18.40 Uhr musste die Feuerwehr zwar den Ausnahmezustand ausrufen – aber nicht wegen des Orkans, sondern wegen stadtweiter Überflutungen. Die Sturzflut ließ zahllose Keller, Straßen, Tunnel und die Stadtautobahn an mehreren Stellen volllaufen. Weil bundesweit der Bahnverkehr unterbrochen werden musste, fuhren keine Fernzüge. Auf den Flughäfen fielen mehr als 20 Flüge aus. Die Unwetterwarnung gilt bis zum heutigen Vormittag weiter.

Am Hauptbahnhof kamen schon vor dem Unglück gestern hunderte Reisende nicht weiter, zahlreiche Züge hatten schon nachmittags Berlin nur mit erheblichen Verspätungen erreichen oder verlassen können. Nach und nach war in weiten Teilen des Bundesgebietes der Zugverkehr eingestellt worden. Da später auch in Brandenburg zahlreiche Strecken gesperrt werden mussten, reagierte die Bahn in Berlin: „Es macht keinen Sinn mehr, noch einen Zug rauszuschicken“, sagte ein Sprecher gegen 19 Uhr. Ziel sei es jetzt nur noch, alle Züge, die unterwegs sind, bis in einen Bahnhof zu bekommen. Nur die S–Bahn sollte weiter fahren; unterbrochen war bis Redaktionsschluss vorübergehend der Abschnitt Wannsee–Griebnitzsee der S 7.

Die BVG hatte bereits früh den Betrieb der Fährlinien über den Wannsee und über die Spree eingestellt. Weil Unterführungen überflutet waren, mussten mehrere Buslinien umgeleitet werden. Umgestürzte Bäume stoppten zeitweise den Verkehr auf der U 3 am Thielplatz sowie bei einigen Straßenbahnlinien.

Nach 20 Uhr hielten sich nach Angaben der Feuerwehr Wasserschäden und Sturmschäden die Waage. Vor allem im Süden der Stadt wurden Windgeschwindigkeiten bis zur Orkanstärke 12 gemessen. An der Großbeerenstraße in Marienfelde riss der Wind ein komplettes Dach von einem Haus herunter. Bis 22 Uhr hatte die Feuerwehr etwa 650 Wettereinsätze gezählt. Darunter 250 umgestürzte Bäume und abgerissene Äste sowie 300 Wasserschäden. Gut 100 Einsätze waren „Bauteile“, also Gerüste, Planen oder Dächer, die den Sturmböen nicht standgehalten hatten. Auch das Kabelnetz fürs Fernsehen fiel zeitweise aus.

Verletzt wurde bis Redaktionsschluss ein Mensch: Am Nachmittag war in der Joachimstaler Straße ein Bauarbeiter von einem Gerüst geweht worden und trug leichte Blessuren davon.

In Brandenburg war die Situation ähnlich, mit vielen Einsätzen besonders im Süden des Landes und nur zwei Verletzten: Zwei Autofahrer waren im Landkreis Elbe-Elster mit ihrem Wagen gegen einen umgestürzten Baum gefahren. Tausende Haushalte waren zeitweise ohne Strom.

Mit Besorgnis blickten die Beamten in den Leitstellen beider Länder jedoch auch am späten Abend noch in den Wettercomputer: Denn der Wetterdienst sagte eine zweite Sturmfront für Mitternacht voraus. Die Unwetterwarnung vor Orkanböen bis zu Stärke 13 mit Windgeschwindigkeiten bis zu 140 Kilometer gilt noch bis Freitagvormittag. In Tempelhof fielen nach Angaben des Wetterdienstes MC- Wetter in zwölf Stunden 42 Liter Regen pro Quadratmeter – so viel wie sonst im ganzen Januar.

Am Nachmittag bereits war das Leben in Berlin fast zum Erliegen gekommen – vielleicht, weil noch viele den Orkan im Juli 2002 in Erinnerung haben, als acht Menschen starben. Die Feuerwehr hat seitdem eine Direktleitung zum Deutschen Wetterdienst. Bei der Polizei und Feuerwehr war man gestern mit voller Besatzung an den Start gegangen. Die Feuerwehr hatte sogenannte Erkunder ausgeschickt, die gefährliche Stellen melden und möglichst beseitigen sollten.

Auch heute dürfen nach Angaben der Schulverwaltung Eltern selbst entscheiden, ob sie ihre Kinder bei den Wetterbedingungen zur Schule schicken. Dies teilte Landesschulrat Pokall mit.

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