zum Hauptinhalt

Berlin: Keine Sache der Ehre

Die Tat hat zum Umdenken der Gesellschaft geführt

Hatun Sürücü – wie sie lacht. Hatun Sürücü – wie sie arbeitet. Hatun Sürücü – wie sie sich mit ihrem Freund neckt. In einer Endlosschleife laufen in dem Ausstellungsraum die Bilder aus dem Leben der 23-Jährigen über die Wand. Genau ein Jahr ist es her, dass die Deutsch-Türkin von ihrem jüngsten Bruder erschossen wurde – weil er ihren Lebensstil als „Kränkung der Familienehre“ empfand. „Ehrensache“, so heißt die Schau, die aus diesem Anlass heute im Ausbildungswerk Kreuzberg eröffnet wird. „Es ist schon ein gewisser Trost, dass durch ihren Tod so viel ins Rollen gekommen ist“, sagt Jennifer, die mit Hatun Sürücü hier eine Ausbildung zur Elektromechanikerin absolvierte.

Der so genannte Ehrenmord an Hatun Sürücü hat die Öffentlichkeit erschüttert, was, so makaber es klingt, auch eine gute Seite hat. Gewalttaten gegen Frauen ausländischer Herkunft und Zwangsehen werden nicht mehr als bedauerliche Einzelfälle abgetan, auch die Politik hat das Problem erkannt: Die Zwangsehe soll als Straftatbestand ins Gesetzbuch kommen. „Der Fall hat zu einem Umdenken in der Gesellschaft geführt“, heißt es bei Terre de Femmes. Die Zahl von Frauen aus Migrantenfamilien, die Beratung und Hilfe suchen, habe „absolut zugenommen“.

Heftig diskutiert wurde der Fall Sürücü auch an Berlins Schulen: Politiker forderten nach dem Mord ein eigenes Unterrichtsfach, wo über Werte und Religionen debattiert werden soll, mit Erfolg: Ab September wird in den Schulen der Ethik-Unterricht eingeführt. Nachdem an der Thomas-Morus-Oberschule in Neukölln mehrere Schüler den Mord gerechtfertigt hatten, ging hier der Schulleiter in die Offensive: Die Schüler wurden abgemahnt. „Anschließend haben wir an der Schule wochenlang intensiv diskutiert“, sagt Schulleiter Volker Steffens. Mit einem Brief hatte Bundespräsident Köhler die Verdienste der Schule später gewürdigt.

Dass Hatun Sürücü bis heute nicht vergessen ist, liegt nach Ansicht des Integrationsbeauftragten Günter Piening daran, dass sich seit dem Mord „ins gesellschaftliche Bewusstsein“ eingebrannt habe, dass mitten in Berlin noch immer Frauen das Selbstbestimmungsrecht abgesprochen werde. Dadurch hätten Migrantengruppen begonnen, öffentlich und intern ihrer „eigenen Verantwortung nachzugehen“. Auch nach Ansicht der Türkischen Gemeinde hat der Mord dazu beigetragen, das Thema „Ehrenmord“ unter den Migranten zu enttabuisieren.

Die Ausstellung „Ehrensache“ wird heute um 13 Uhr mit einer Gedenkveranstaltung im „Muskat“, Muskauer Straße 33, 10997 Berlin, eröffnet.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false