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Berlin: Kinder gehen nicht zur Schule und Ämter bleiben untätig

97 Mädchen und Jungen kommen schon lange nicht mehr zum Unterricht. Bildungssenator beklagt, dass einige Bezirke Fälle nicht konsequent aufklären

In Berlin bleiben noch mehr Kinder dauerhaft der Schule fern als vermutet. Nach einer aktuellen Umfrage der Bildungsverwaltung in den Bezirken tauchten Mitte Januar insgesamt 97 Mädchen und Jungen schon länger nicht im Klassenzimmer auf – obwohl teils schon Bußgeldverfahren eingeleitet wurden oder die Polizei bereits bei den Eltern klingelte. Von einem Teil der Schüler fehlt nach wie vor jede Spur: Allein in Reinickendorf können Schul- und Jugendamt die Eltern von fünf Kindern nicht erreichen, weil unter der Adresse keiner anzutreffen ist. Schulsenator Klaus Böger (SPD) hat erneut an die Bezirke appelliert, ungeklärten Fällen sofort nachzugehen. Zudem kündigte Böger an, nach der Einschulung im Sommer trotz des bereits verschärften Anmeldeverfahrens eine klärende Runde der Bezirke einzuberufen. Der Senat hat zudem beschlossen, sich der Hamburger Bundesratsinitiative anzuschließen: Sie will die Frühuntersuchungen um Vernachlässigungs-Merkmale erweitern und Eltern, die ihr Kind nicht dorthin schicken, in die Pflicht nehmen.

Dass es den Ämtern teils unmöglich ist, Kontakt mit Müttern und Vätern aufzunehmen, war Mitte Dezember bekannt geworden. Böger hatte nach den dramatischen Fällen von Kindesvernachlässigung eine Arbeitsgruppe einberufen, von den Bezirken erfahren, dass das Schicksal von 75 Schüler ungewiss sei – und forderte Aufklärung. Nun liegen die ersten Auskünfte vor. In den meisten Fällen gibt es zumindest Kontakt zu den Erziehungsberechtigten. Die schlechte Nachricht: Am Stichtag 15. Januar waren es statt 75 sogar 97 Kinder, die ihrer Schulpflicht dauerhaft nicht nachkamen. Gab es Mitte Dezember 743 Schulversäumnis-Anzeigen, waren es einen Monat später 1038.

Bildungssenator Böger ist verärgert über den „laxen Umgang“ einiger Bezirke mit dem Nachfassen. So kam etwa aus Lichtenberg kein detaillierter Einzelnachweis, sondern nur eine allgemein gehaltene Antwort mit Ausführungen über die schwierige Arbeit in diesem Bereich – sowie dem Zusatz, in 15 von 23 Fällen seien die Eltern „gerade vor zehn Tagen nachdrücklich zum Besuch aufgefordert worden“. Mitte Dezember waren es in Lichtenberg noch 15 Schüler, „die trotz aller Maßnahmen weiterhin den Schulbesuch nicht aufgenommen haben“, wie es in der Statistik steht. Auf Nachfrage hieß es im Lichtenberger Schulamt dazu, alle diese Kinder seien vom Jugendamt erfasst. Es handele sich überwiegend um Hauptschüler, deutscher und nicht-deutscher Herkunft. Hausbesuche könne das bezirkliche Schulamt nicht veranlassen, das sei Sache des Jugendamtes. Die Klientel „melde sich nicht sofort morgen, wenn man sie heute kontaktiert“, sagte Monika Pech, zuständige Fachbereichsleiterin im Schulamt.

In Reinickendorf, dem Bezirk mit der höchsten Fehlzahl, bestätigten Schulamtsleiterin Simone Foryta und Bildungsstadtrat Uwe Ewers, dass es sich bei der Stichtagszahl um einen „tatsächlichen Anstieg“ handele. Hier fehlten 27 Kinder ständig. Zu zwölf hat der sozialpädagogische Dienst Kontakt, ein Kind ist in der Behindertenfürsorge. Gegen vier Eltern läuft ein Bußgeldverfahren, zwei Kinder sind verhaltensauffällig. Bei einem reagieren die Eltern nicht – und fünf Eltern „sind nicht mehr ermittelbar“.

Annette Kögel

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