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Britische Offiziere beobachten das Artilleriefeuer während der Somme-Schlacht 1916.

© Reuters

Erster Weltkrieg: Kinder im Schützengraben

Wie es Jugendlichen vor 100 Jahren, zu Beginn des Ersten Weltkriegs, ging, vermittelt jetzt eine App. Unsere Jugendreporterin hat das Angebot des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge getestet.

Hermann ist 16. Er hat dunkelbraune Haare und Augen, blickt meistens ernst. Er geht auf ein Internat in der Nähe von Aachen, ist sehr ambitioniert und fleißig. Außergewöhnlich ist, dass Hermann sich freut. Und zwar auf den Krieg. Euphorisch, fast martialisch wartet er, bis er nach Frankreich an die Front ziehen kann. Auch wenn es uns heute unglaublich vorkommt, Hermann Böddinghaus ist kein Einzelfall. So war das damals, 1914. Teilweise kann man bestimmt der Propaganda Schuld geben. So wurde Kindern daheim schulfrei versprochen, sobald an der Front eine Schlacht gewonnen wurde. Der erste Weltkrieg beeinflusst jedes deutsche und europäische Leben. Die „verlorene Generation“ bleibt übrig. So lautet auch der Titel einer neuen App, die vergangene Woche anlässlich des Volkstrauertages in Berlin vorgestellt wurde: „Lost Generation“. Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge will damit unserer jungen Generation die Gedanken, Gefühle und Schicksale der Jugendlichen von damals näherbringen.

Wie viele meiner Mitschüler habe ich über den Ersten Weltkrieg gelesen – in Schulgeschichtsbüchern mit Eselsohren, die schon etliche Male zuvor ausgeliehen wurden. In meiner Klasse waren wir schon stolz, die Jahreszahlen von Kriegsbeginn und -ende zu wissen. Die Zahl der Gefallenen im ersten Weltkrieg rauschte an mir vorbei – etwa 14 Millionen sollen es gewesen sein.

Das sind abstrakte Zahlen. Konkret wird das Leid, wenn man sich mithilfe der neuen App die einzelnen Schicksale anguckt. „Lost Generation“ thematisiert das Leben der Jugendlichen im Ersten Weltkrieg am Beispiel von fünf ausgewählten Lebensläufen, einer davon ist der von Hermann Böddinghaus. Die fünf digital präsentierten Zeitzeugen, von denen keiner aus Berlin kommt, haben unterschiedliche Schicksale, kommen aus verschiedenen sozialen Klassen, Religionen und Landstrichen. Stefan Nies, der die Recherchen zum Projekt geleitet hat, sagt: „Wir wollten weg von den Klischees und alle Schichten berücksichtigen.“ Ein jüdischer Deutscher namens Ezechiel Hasgall ist etwa in einer Schulklasse mit dem späteren Reichstagspräsidenten Hermann Göring, ein anderer verändert durch den Tod drei seiner Brüder radikal seine Einstellung zum Krieg. Alle fünf haben wirklich gelebt. Aus Tagebucheinträgen, Feldpostbriefen und anderen Dokumenten, die die Schicksale der Menschen des Ersten Weltkrieges darstellen, haben die Historiker Stefan Nies und Dieter Pfau fünf Lebensläufe rekonstruiert. Das war für die Historiker zwischendurch richtig abenteuerlich, sagt Pfau: „Ein Angehöriger von Ezechiel Hasgall hat uns die wertvollen Dokumente per Post geschickt – da können sich bei einem Historiker schon mal die Nackenhaare aufstellen.“

Neben der App gibt es auch andere digitale Angebote zum Ersten Weltkrieg. So informiert der Twitteraccount „1914Tweets“ über das Schicksal einzelner Soldaten. Anders als diese Tweets bietet die App eine Menge Videomaterial. Darin lernt man auch, dass der Attentäter von Sarajevo, Gavrilo Princip, nicht alleine die Schuld am Ersten Weltkrieg trägt. Zudem gibt es eine Europakarte und einen Zeitstrahl, auf denen die wichtigsten Kriegsereignisse kurz dargestellt werden. „Lost Generation“ ist für Freizeit und Unterricht geeignet. Wer besser verstehen möchte, wie es seinen Ahnen im Ersten Weltkrieg erging, kann sich mit der App ein Bild davon machen.

Die Autorin ist 19 Jahre alt und schreibt für den Jugendblog des Tagesspiegels.

Luzi Wagner

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