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Berlin: Kirchen auf wackligem Fundament

Religionsgemeinschaften und Denkmalschützer streiten über den Abriss ungenutzter Gotteshäuser

Das Landesdenkmalamt kommt gar nicht mehr dazu, Kirchen unter Schutz zu stellen, so schnell werden sie abgerissen: Vergangene Woche ließ die katholische Gemeinde in Gatow ihre Kirche St. Raphael beseitigen, jetzt liegt die Abrissgenehmigung des Bezirksamtes Tempelhof für die Kirche St. Johannes Capistran mitsamt dem ehemaligen Franziskanerkloster in der Götzstraße vor.

In Gatow soll auf dem nun leeren Gelände ein Supermarkt gebaut werden, in Tempelhof will die Avila Management GmbH ein Pflegeheim mit 118 Plätzen und 100 Seniorenwohnungen errichten. Die Immobilienfirma Avila hatte das Gelände und das Gebäudeensemble letztes Jahr für 2,5 Millionen Euro vom Erzbistum gekauft, das sich wegen seiner Finanzkrise von Immobilien trennen muss.

Beide Bauten aus den 60er Jahren hält Landeskonservator Jörg Haspel für architekturgeschichtlich wertvoll, da es sich um „Unikate, unverwechselbare Einzelbauten“ zeitgenössisch wichtiger Architekten handle. Die Gatower Kirche hat 1965 Rudolf Schwarz gebaut, St. Johannes Capistran 1968 Reinhard Hofbauer. In der Nachkriegszeit sei Berlin ein Aushängeschild für neue Architektur gewesen – gerade auch wegen der damals entstandenen Sakralbauten. „Mit den Kirchen droht jetzt eine ganze Bauschicht, die der 50er und 60er Jahre verloren zu gehen“, sagt Haspel.

Seine Behörde ist gerade dabei, eine provisorische Liste von schützenswerten Gotteshäusern der Nachkriegszeit zu erstellen. Das aber kann Monate dauern, geschützt sind die Gebäude erst, wenn sie auf der Liste stehen. Den Ausschlag soll dabei die Frage geben, welches Gebäude in architekturhistorischen Stadtführern und Reiseführern eine Rolle spielt. Haspel schätzt, dass es etwa ein Dutzend sein werden, St. Raphael wäre dabei gewesen, St. Johannes Capistran wahrscheinlich auch. Dass erstere vergangene Woche einen Tag vor der entscheidenden Sitzung des Landesdenkmalrates abgerissen wurde und jetzt St. Capistran ein ähnliches Schicksal erfahren soll, findet Haspel „ein starkes Stück“. Juristen würden nun prüfen, was sich im Falle von St. Johannes Capistran noch machen lasse.

Er habe mit Avila vor einem Jahr über die Kirche gesprochen und hatte den Eindruck, dass sie in den Neubau des Seniorenwohnheims einbezogen werden könne. Avila-Chef Douglas Fernando sieht das anders: „Die Bausubstanz ist schlecht.“ Außerdem stehe die Wirtschaftlichkeit im Vordergrund. Das alte Gebäudeensemble störe, außerdem handele es sich auch um „keine besondere Architektur“. Enttäuscht ist der Chef des Denkmalamtes auch darüber, dass die Gespräche mit dem Bistum offenbar nichts bewirkt haben. Er habe deutlich zu machen versucht, dass man gemeinsam eine Lösung für alle zum Verkauf oder zur Entwidmung anstehenden Gebäude finden müsse. Die Kirchen hätten schließlich eine „Pflicht, ihre Eigentümer zu erhalten“. Gotteshäuser seien öffentliche Begegnungsstätten mit Erinnerungsfunktion und auch wichtig für das Stadtbild.

„Wir würden die Kirchen ja auch lieber behalten, uns fehlt aber das Geld für Sanierung und den Unterhalt“, sagt Bistumssprecher Stefan Förner. Deshalb sieht der Sanierungsplan vor, dass sich das Bistum bis zum Jahr 2008 von 25 Prozent seiner pastoral genutzten Flächen trennt.Wenn das Denkmalamt die Kirchen erhalten wolle, müsse die Behörde auch über die Finanzierung nachdenken. „Geld haben wir auch nicht“, erwidert Haspel, „es geht darum, eine geeignete Nachnutzung zu finden“. Da müsse man „noch fantasievoller werden.“ Oder die Kirchentür schließen und auf bessere Zeiten warten? „Die Parochialkirche in Mitte war 40 Jahre lang ein Möbellager. Heute sind wir glücklich, dass wir sie haben“, sagt Haspel.

Bei der Suche nach neuen Nutzern dürfe es keine Tabus geben, sagt Haspel. Er kann sich vorstellen, dass wie in den USA oder Holland Diskotheken und Sparkassen, Supermärkte und Restaurants in die Kirchengemäuer einziehen – Hauptsache: Die Gebäude bleiben erhalten. Die katholische Kirche sieht das anders. Eine kommerzielle Nutzung sei nur erlaubt, wenn sie „dem Charakter des Gebäudes nicht zuwiderläuft“, steht in einer Handreichung der Deutschen Bischofskonferenz. Eine Diskothek in einer Kirche, „so etwas ist mit uns nicht drin“, hat Kardinal Georg Sterzinsky immer wieder gesagt. Dann lieber Abriss. Die Zeit für ein klärendes Gespräch zwischen Geistlichen und Denkmalpflegern drängt. Im September will das Bistum die Kreuzberger Kirche St. Agnes entwidmen. Sie wurde 1967 nach Plänen von Werner Düttmann errichtet, heute tropft das Wasser durch die Decke. Schätzungsweise fünf Millionen Euro würde die Sanierung kosten, vermutlich kann nur ein Mäzen die Kirche retten.

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