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Chor

© Davids

Kirchenchöre: Jauchzen und frohlocken

In vielen Gemeinden singen regelmäßig schon die Zweijährigen im Chor. Auch immer mehr Erwachsene interessieren sich für das Gemeinschaftserlebnis.

Justus muss nicht lange überlegen, was ihm am Singen gefällt. „Mir machen die Töne Spaß“, sagt der achtjährige Junge und legt sich seinen schwarzen Räubermantel um. Beim gesungenen Krippenspiel in der evangelischen Erlöserkirche in Moabit ist er einer der Übeltäter, die Maria und Josef das von den Heiligen Drei Königen geschenkte Gold klauen wollen. Justus singt seit vier Jahren im Kinderchor der Gemeinde und liegt damit voll im Trend.

Geschätzte zehntausend Berliner singen jede Woche in Chören, die Mehrheit in Kirchenchören. Es werden immer mehr, sagt Gunter Kennel, Musikdirektor der evangelischen Landeskirche. Seit den Pisa-Debatten boomen vor allem die Kinderchöre. Auch kommen immer neue Seniorenchöre hinzu.

Die Chöre singen Sommer wie Winter, aber besonders viel zu Weihnachten. Über 50 Weihnachtsoratorien wurden dieses Jahr in der Adventszeit in Berliner Kirchengemeinden aufgeführt, so viele wie nie zuvor. Viele Kirchen luden wie die Moabiter Erlöserkirche auch zum Adventsliedersingen. „Die Kirche war voll“, sagt Edda Straakholder, „das ist jedes Jahr ein Renner“. Straakholder ist Kirchenmusikerin an der Erlöserkirche und hat vor 30 Jahren mit 14 Sängern angefangen. Heute sind es 200. Straakholder singt schon mit den einjährigen Kitakindern. Für die etwas Größeren gibt es die Eltern-Kind-Singgruppe, ab zweieinhalb Jahre können sie im Kinderchor mitmachen, dann im Jugendchor, später in der Erwachsenenkantorei und schließlich im Seniorenchor.

Früher haben die Eltern mit ihren Kindern gesungen, heute übernehmen das die Mini- und Kinderchöre, sagt Straakholder. Gleichzeitig sei bei vielen Eltern seit den Pisa-Debatten das Bewusstsein dafür gewachsen, wie wichtig Musik für die Entwicklung ist, sagt die Kirchenmusikerin. Singen fördert Konzentration und Selbstbewusstsein und trägt zur besseren Vernetzung im Gehirn bei, haben Hirnforscher herausgefunden.

Singen sei ein ganz elementares, auch körperliches Erlebnis, sagt Landeskirchenmusikdirektor Kennel. Wer einmal erlebt habe, wie es im eigenen Körper schwingt und klingt, der komme wieder. Auch würden viele in die Chöre eintreten, weil sie das Gemeinschaftserlebnis schätzten und Geborgenheit suchten. Als Kontaktbörse seien die früher als verstaubt geltenden Kirchenchöre nun sogar für die vielen Singles in der Stadt attraktiv geworden. „Mit meinen Freunden zusammen zu singen, das ist toll“, weiß schon die achtjährige Annalena Wöllmann, die im Kindergarten mit dem Singen angefangen hat.

Dass die Kirchen- und vor allem die Kinderchöre Zulauf haben, freut auch die Pfarrer. Denn über die Chöre werden auch die angelockt, die mit Kirche eigentlich nichts zu tun haben. Viele Eltern der Kinder im Kinderchor seien keine Kirchenmitglieder, sagt die Pfarrerin der Erlösergemeinde. Kirchenmusiker Kennel kennt auch etliche, die sich singend wieder an die Kirche angenähert haben und wieder eingetreten sind. So tragen auch die Kirchenchöre dazu bei, dass die Zahl der Kircheneintritte in Berlin von Jahr zu Jahr steigt. So waren es in der evangelischen Landeskirche 2003 rund 1400 Eintritte und vergangenes Jahr knapp 1900.

In den Kirchenchören wird alles gesungen von Bach über Gospel, bis zu Swing und Sakropop. Anders als früher hätten die Laiensänger heute allerdings nicht mehr so viel Lust, das sonntägliche Gottesdienstliederprogramm einzuüben, sagt Edda Straakholder. Mit ihrer Kantorei studiert sie anspruchsvolle Stücke wie Brahms’ Requiem ein. Vielen sei es wichtig, dass sie sich und ihre Stimme weiterentwickeln.

Straakholder hat den Eindruck, dass die Berliner mit dem Chorsingen eine Tradition wiederbeleben, die in Deutschland durch die Nazis missbraucht und kaputt gemacht wurde. Vor dem Krieg habe es in den Schulklassen höchstens zwei Kinder gegeben, die nicht singen konnten. Heute seien es in Moabit höchstens zwei, die singen können. Straakholder wünscht sich, dass das Singen wieder etwas Selbstverständliches wird. In der Familie des achtjährigen Justus ist das offenbar schon der Fall: „Wir singen zu Hause einfach so, wenn wir fröhlich sind“, sagt der Junge.

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