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Berlin: Klaus Böger im Gespräch: Schülerschwund spült 100 Millionen in die Kasse - der Schulsenator will sie haben

Schulsenator Klaus Böger geht gestärkt aus dem SPD-Parteitag hervor. Seine Genossen haben - mit Ausnahme des Themas Religionsunterricht - seine schulpolitische Linie bestätigt, indem sie der Verkürzung des Abiturs und der Grundschulreform zustimmten.

Schulsenator Klaus Böger geht gestärkt aus dem SPD-Parteitag hervor. Seine Genossen haben - mit Ausnahme des Themas Religionsunterricht - seine schulpolitische Linie bestätigt, indem sie der Verkürzung des Abiturs und der Grundschulreform zustimmten. Und Böger bekam Rückendeckung für die anstehenden Etatverhandlungen: Bildung soll Priorität haben.

Jede Menge schöne, aber teure Reformen will ihre Partei mittragen: Halbtagsschulen, Ganztagsschulen, Fremdsprachen ab Klasse 3, mehr Mathematikunterricht. Wer soll das bezahlen?

Man braucht nur den jetzigen Lehrerstellenplan fortzuschreiben. Durch den Schülerrückgang hat man genug Spielraum, um die Reformen anzuschieben.

Geht das etwas genauer?

Unsere Statistiker sagen, dass bis zum Schuljahr 2004/05 1663 Lehrerstellen infolge des Schülerrückgangs nicht mehr benötigt werden. Wenn man davon die 376 Stellen abzieht, die für die Rückzahlung der Arbeitszeitkonten benötigt werden, bleiben immer noch 1287. Für die Aufstockung des Mathematikunterrichts um eine Stunde in den Klassen 5 bis 10 brauchen wir zum Beispiel 300 Stellen. Wenn wir uns zunächst auf die 5. und 6. Klasse beschränken, sind es 96 Stellen.

Und für die festen Betreuungszeiten in der Grundschule? Wenn wir zunächst das jetzige Angebot an 45 Schulen auf 90 verdoppeln, brauchen wir weitere 23 Lehrer und 90 Erzieher. Damit könnte die Zeit von 7.30 bis 13.30 Uhr abgedeckt werden. Ziel ist allerdings an allen Schulen die Betreuung von 7 bis 16 Uhr.

Dann brauchen sie doch nicht nur mehr Personal, sondern auch Schulküchen.

Keineswegs. Man kann die Essensversorgung auch mit Catering organisieren. Dafür müsste man dann ein Entgelt nehmen, wie es jetzt schon in den östlichen Bezirken üblich ist.

Also der sogenannte Offene Ganztagsbetrieb für die ganze Stadt?

Ja, das Ziel muss ein einheitliches Modell sein mit einer Kombination von Schule und einem qualifizierten Betreuungsangebot. Das können staatliche Erzieher und Erzieherinnen machen oder auch freie Träger mit qualifiziertem Erziehungspersonal.

Und woher sollen die Erzieherstellen kommen?

In das neue Betreuungssystem wird man hineinwachsen mit dem Rückgang der Kinderzahlen in den Kitas. Darüber muss allerdings mit den Bezirken verhandelt werden.

Angesichts der knappen Finanzen klingt das ziemlich illusorisch.

Politik braucht Visionen. Es wird sicher nicht von heute auf morgen gehen. Kern des Projekts "Ganztagsschule" muss erstmal die stabile Betreuung für die bis zu 12- oder 13Jährigen sein, vorrangig in sozial benachteiligten Gebieten. Ich setze auch auf Unterstützung durch die Bundesebene, denn der Bereich Familie/Ganztagsschule wird bestimmt im Bundestagswahlkampf eine große Rolle spielen.

Aber zunächst müssen sie sich doch hier auf Landesebene verständigen. Die Etatverhandlungen beginnen im Mai. Finanzsenator Kurth hat doch schon einen Vorgeschmack auf seine Pläne gegeben, als er jüngst auf die angeblich zu große Zahl von Ermäßigungsstunden für Berlins Lehrer anspielte.

Senator Kurth ist nicht auf dem neuesten Stand. Berlins Lehrer haben keine ungerechtfertigten Ermäßigungsstunden. Mit der Arbeitszeiterhöhung vom vergangenen Jahr haben sie ihren Beitrag geleistet.

Aber verlangen sie von der CDU nicht ein bisschen viel? Wenn sie den Schülerrückgang nicht zum Stellenabbau nutzen, sondern in Reformen stecken, entfällt ein Sparpotential in dreistelliger Millionenhöhe.

Der Senat muss sich entscheiden. Wenn alles vorrangig ist, ist es logischerweise kein Vorrang mehr. Ohne die genannten Rahmenbedingungen können wir das Zukunftsprojekt Bildung zu den Akten legen. Es wird eine klare Auseinandersetzung geben.

Nicht weniger kontrovers dürfte es doch wohl beim Thema Religionsunterricht zugehen. Dadurch, dass ihre Partei nicht einmal einen Modellversuch mt Religionsunterricht als Wahlpflichtfach zulassen will, hat sie ja nicht nur ihren eigenen Schulsenator, sondern auch den Koalitionspartner erheblich brüskiert.

Es ist doch zunächst mal gut, dass die Wertevermittlung gestärkt wird, indem es ein Pflichtfach Ethik/Philosophie geben soll. Und in Ethik muss ich doch auch christliche Ethik vermitteln.

Reicht Ihnen das denn?

Ich bedauere, dass die Partei Modellversuche ausgeschlossen hat. Aber ich muss die Mehrheitsentscheidung akzeptieren. Und es war eine große Mehrheit. Ich nehme aber das Begrüßenswerte auf: Die Stärkung des Faches Sozialkunde und das neue Pflichtfach Ethik/Philosophie.

Darauf wird sich doch die CDU nicht einlassen.

Das ist jetzt die Angelegenheit der CDU und der Koalition. Im übrigen meine ich, dass ein Kompromiss gefunden werden kann. Immerhin sind wir uns doch in dem Ziel einig, dass an den Schulen verstärkt Werte vermittelt werden müssen.

Aus dem Schulgesetzentwurf müssen Sie jetzt aber die Passage zum Modellversuch Religion/Ethik-Philosophie streichen.

So wird es wohl kommen. Aber ich möchte betonen, dass 98 Prozent des Gesetzentwurfs durch den Parteitag inhaltlich gedeckt sind. Wir können also mit dem Gesetz auf Tempo setzen.

Unmittelbar vor dem Parteitag hatte sich Bundeskanzler Gerhard Schröder klar für ein staatliches Unterrichtsfach Religion eingesetzt. Auf dieser Linie liegt auch Bundestagspräsident Wolfgang Thierse, der zum SPD-Bundespräsidium gehört. Dennoch wurde das Thema eher nebenbei beim Parteitag abgehandelt.

Nach den vielstündigen Diskussionen und Abstimmungen ist es verständlich, dass jemand "Schluss der Debatte" fordert und damit auch durchkommt. Aber das letzte Wort ist hier bestimmt noch nicht gesprochen.

Noch eine weitere große Aufgabe wartet auf Sie: die bessere Sprachförderung der ausländischen Schüler.

Wir werden jetzt erstmal damit beginnen, in den besonders belasteten Grundschulen die Klassen um zwei Schüler im Schnitt zu verkleinern. Das ist machbar. Darüberhinaus geben wir schon jetzt 734 Stellen in die Förderung von Deutsch als Zweitsprache und 136 Stellen in die Schulen mit Förderbedarf.

Offensichtlich reicht das aber nicht, wie die verheerende Quote insbesondere der Kinder nichtdeutscher Herkunftssprache bei den Schülern ohne Schulabschluss zeigt.

Sicher müssen wir auch neue Wege beschreiten. Ich bin interessiert an einer Zusammenarbeit mit Barbara John, die davon spricht, dass man fördern und fordern muss. Ich reise jetzt nach Holland, wo seit langem Erfahrungen mit Konzepten existieren, die auf Leistung und Gegenleistung bei den Zuwanderern beruhen.

Jede Menge schöne[aber teure Reformen will i]

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