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Berlin: Klaus-Dieter Wischer (Geb. 1934)

„Wenn ich sie beeindrucken will, muss ich Geld verdienen“

Der Name reicht: „Bazooka“. Augenblicklich gelangt Dietas Erinnerung des zuckrigen Geschmacks an die Oberfläche ihres Bewusstseins. Rosaroter amerikanischer Bubblegum. Der Geruch war damals aus dem Souterrain, aus Dutzenden Kartons, hinauf in alle Etagen des Hauses gezogen.

Kaugummi, Milchpulver, getrocknete Datteln und Walnüsse gehörten zum Sortiment von Dietas Vater. Klaus-Dieter Wischer kaufte die Produkte und verkaufte sie an kleine Läden weiter. „Papi“, bettelten Dieta und ihre Schwester Asta manchmal, „hast du nicht einen Bruch-Karton Bazooka?“ Und Papi fand immer einen. Die Familie war alles für ihn, vor dem Tod seiner Frau und mehr noch danach.

Sieglind, mit den Gesichtszügen von Grace Kelly, war auf dem Weg nach Hamburg, als sie am Rand der Landstraße zwei Anhalter sah. Der hinreißende der beiden hatte erfreulicherweise einen Riss im Hosenbein. Angekommen in Hamburg, schlug sie vor: „Ich repariere Ihnen die Hose, und Sie holen sie am 28. Juli bei mir ab.“ Der 28. Juli war ihr Geburtstag. Was er erst erfuhr, nachdem sie ihn hereingebeten hatte.

Er dachte: Wenn ich sie beeindrucken will, muss ich Geld verdienen. Also absolvierte er eine Banklehre und stieg in den Großhandel seines Schwiegervaters ein, gekleidet in gedeckte Farben, ohne Schnickschnack. Obgleich er auch gegen einen auffälligeren Anzug nichts gehabt hätte. Als sein Vater, ganz früher mal, erfuhr, dass der Sohn Modeschöpfer werden wollte, hatte er sich voller Schrecken nur geckenhafte Männer, die zwar Roben für Damen entwarfen, sonst aber lieber unter sich blieben, vorgestellt. Auch der zweite Herzenswunsch des Sohnes, Künstler, gehörte in die Kategorie Hirngespinst. Der Vater wie der Großvater waren grundsolide Händler.

So kam es, dass Klaus-Dieter irgendwann Lebensmittel durch ganz Berlin fuhr. Er kannte jeden Stein, und ab und zu nahm er seine Töchter mit, kletterte in Hinterhöfe, erzählte von seinen Kriegsjahren in Bestensee, vom Pianistenfreund, mit dem er auf Jazzkonzerte gegangen war, von Dizzy Gillespie und Ella Fitzgerald, cooler Bebop, zu dem man lässig mit dem Kopf wippte und dabei „Bazooka“ kaute.

Sein Haus war ein offenes, Gäste blieben bis in die Nacht, und Klaus-Dieter stand am nächsten Tag um sechs auf und spielte mit den Kindern. „Er war weich und liebevoll“, sagt Dieta, „und ein Patriarch.“ Während eines Dänemarkurlaubes übte er selbstverständlich mit den Töchtern Mathe; noch heute verbinden sie Mengenlehre mit dem Aroma seiner Plumcake-Pfeife, an der er zwischen den Erläuterungen sog.

Einmal im Jahr fuhr er ohne die Familie los, immer dann, wenn er sich mit den alten Schulfreunden traf.

Gleichmaß hier, rasante Veränderung dort: Überall entstanden Supermärkte, Tante-Emma-Läden verschwanden, schwere Zeiten für kleine Großhändler wie ihn. Und Sieglind erkrankte, lag drei Monate im Koma. Jeden Morgen um zehn, jeden Abend um sechs lief Klaus-Dieter zu ihr ins Krankenhaus, bis sie starb.

Ein fester Rhythmus war ihm wichtig: halb sieben aufstehen, Brötchen holen, etwas lesen oder ein altes Radio reparieren (denn weggeworfen wurde nichts). Auch seine Kinder und Enkelkinder, von denen einige in seinem Haus lebten, hielten ihn. Eine harmlose Erkältung alle Jubeljahre und plötzlich die Diagnose, Krebs. Er setzte sich Ziele: den 18. Geburtstag der Zwillinge seiner Tochter mitfeiern, dann noch seinen 80. Man kann es auf den Fotos sehen, es waren schöne Feste, denn alle waren da.

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