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Berlin: Klaus-Peter Lange (Geb. 1924)

Regelmäßig kontrolliert der britische Geheimdienst seine Loyalität

Seine Spaghettisoße war legendär und nicht nur bei den drei Enkeltöchtern beliebt: Speck, Wurst, Frühstücksfleisch und jede Menge Tomatenmark, stundenlang eingekocht. Dazu gab’s Malzbier. Vielleicht stammt das Rezept aus Klaus-Peter Langes Zeit in Italien, wo er im Krieg stationiert war. Vielleicht hat es ihm die Krankenschwester verraten, die ihn im Lazarett gesund gepflegt hat, bis er mit ihr Ski laufen konnte.

Er kam in ein britisches Gefangenenlager in Ägypten. Der gelernte Werkzeugmacher reparierte nun Panzer, mit denen die gerade gegründete israelische Armee aufgerüstet wurde. Einmal die Woche wurden die Internierten unter freiem Himmel mit Filmen unterhalten. Doch mehr noch als die Filme beeindruckten Klaus-Peter die Sternschnuppen, die hier mit einem gut hörbaren Zischen niedergingen.

Nach Berlin kehrt er durch die Luft zurück. Das Flugzeug überholt einen schwer beladenen Rosinenbomber. Klaus-Peter ist endlich frei – und seine Heimatstadt von allen Seiten abgeriegelt. Die Freunde sind tot oder verschollen. Wenigstens trifft er die geliebte Mutter zu Hause in Neukölln an.

Bald trifft er noch jemanden. Schräg gegenüber wohnt die Familie von Wachtmeister Genzel; aus dem Fenster guckt eine junge Frau. „Mensch, Mama“, ruft Klaus-Peter. „Wer ist denn die Fesche da?“ Bald schon weiß er: „Das ist meine!“ 1952 wird geheiratet. Die Wohnung, die dem Paar zugeteilt wird, befindet sich in derselben Straße.

Klaus-Peter findet eine Anstellung als Fahrer für die britische Militärverwaltung. Seit seiner Gefangenschaft spricht er hervorragend Englisch, und das fällt auf. Beim „Berlin Bulletin“, der Wochenzeitung für die britische Garnison, wird ein Redaktionsassistent gesucht. Klaus-Peter bekommt den Job. Das Blatt informiert die 3000 Soldaten und ihre Familien, gibt Tipps für das Leben in der Stadt inklusive Fernsehprogramm. Jahrzehntelang ist Klaus-Peter der eigentliche Chef. Seine Vorgesetzten wechseln alle zwei Jahre.

Regelmäßig kontrolliert der britische Geheimdienst seine Loyalität. Nachbarn werden nach Ostbesuch gefragt. Klaus-Peter ist ein aufrechter Frontstädter. Kontrollen am Transitübergang lässt er still über sich ergehen, um nicht unnötig aufzufallen. Reisen in den Ostblock sind sowieso ausgeschlossen.

Ihre Urlaube verbringen Gerda und er mit den beiden Kindern an der See, seit 1966 Jahr für Jahr in Dänemark. Gerda würde gerne mal in die Berge oder nach Italien, aber da lässt Klaus-Peter nicht mit sich reden. Die Ostsee ist seine zweite große Liebe. Und das seit den Ferien seiner Kindheit, die er meist mit Mutter und Schwester verbrachte. Den Vater dagegen rief die Arbeit. Wohl auch die Sekretärin. Klaus-Peter war acht, als seine Eltern sich scheiden ließen.

Mitte der Achtziger wird ein Traum wahr: ein Reihenhäuschen in Kladow. Neukölln ist jetzt weit weg, aber Klaus-Peter bleibt der Heimat treu. Da sind schließlich sein Frisör und seine Bank.

Kurz vor dem Ende der Besatzungszeit, 1989, geht er in Rente. Er ist jetzt M.B.E.: Member of the Order of the British Empire.

Zwei Jahre vor der goldenen Hochzeit stirbt Gerda. Klaus-Peter lässt sich ihren Ring anpassen und lebt fortan allein und doch stets im Kreis seiner Familie. Regelmäßig fährt er, mitunter kurzentschlossen, zum Angeln nach Dänemark. Die Ostsee ruft. Das letzte Mal fährt er mit 87 die 700 Kilometer nonstop.

Er ist 90, als er auf der steilen Treppe seines Hauses stolpert. Eine ganze Nacht liegt er hilflos am Boden, dehydriert und völlig erschöpft. Knochen sind keine gebrochen, wohl aber sein Lebenswille. Begraben wird er in Neukölln, neben Gerda, der lang Vermissten.

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