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Klaus Wowereit über Fußball, WM und Klinsmann: „Fußball vereint mehr, als wir alle denken“

Klaus Wowereits WM-Bilanz: Ost-West-Gejammer ist weg, Berlin hat sich toll präsentiert. Ehrenbürger wird Klinsmann aber nicht

Herr Wowereit, sind Sie traurig, dass die Deutschen nicht im Finale stehen?

Es ist schade, aber man muss auch verlieren können. Jetzt schauen wir am Sonntag das Endspiel zwischen Frankreich und Italien, das wird ein Klassiker. Auf der Fanmeile wird noch einmal richtig was los sein. Am Samstag sowieso, wenn die Deutschen gegen Portugal spielen.

Singen Sie die Nationalhymne mit?

Ja, immer.

Und stehen auf, wenn das ganze Stadion „Steht auf, wenn ihr Deutsche seid“ singt?

Ja, auch wenn die VIP-Tribüne eines Fußballstadions nicht gerade der Ort ist, wo man der Emotionalität freien Lauf lässt. Ich bin im Übrigen keiner, der jeden zweiten Samstag um 15.30 Uhr ins Stadion rennt, aber die großen Spiele haben mich schon als kleiner Junge gepackt.

Und wenn alle „Sieg!“ brüllen?

Ich habe fünf WM-Spiele im Olympiastadion gesehen. Es geht um Fußball, ein bisschen Kampfattitüde ist zulässig. Ich habe von anderen Leuten gehört, dass sie mit diesen Parolen Probleme haben, ich hatte sie nicht. Die WM hat gezeigt, dass es nicht die Hochzeit der Erzkonservativen war, um nationale Gefühle zu missbrauchen. Wir haben vier Wochen lang einen unverkrampften, ungestörten Patriotismus erlebt, den wir so bisher nicht kannten.

Haben Sie ein schwarz-rot-goldenes Fähnchen am Auto?

Nein, und an meinem Balkon flattert auch keine Deutschland-Fahne. Dafür haben andere ganz viele, das gleicht sich wieder aus. Dieser offene Patriotismus hat mich nicht irritiert. Es war keine bundesweite Beflaggung angeordnet, es war ungezwungen, kam leicht daher. Ich denke allerdings, dass es nach diesem letzten WM-Wochenende kein ewiges Ritual sein wird, morgens diese Landesfahne aus dem Fenster zu hängen.

Was bleibt dann von der WM?

Natürlich kehrt der Alltag ein, die Euphorie wird nachlassen. Alles andere wäre Utopie. Ich werde auch die vielen temporären Bauten im Regierungsviertel wie die Adidas- oder Bundestagsarena nicht vermissen. Ich denke, dass wir als Stadt eine hervorragende Performance gezeigt haben. Ich habe auch die Hoffnung, dass es vielleicht den einen oder anderen Berliner überrascht hat, was man mit Freundlichkeit erreichen kann. Dass die Menschen wirklich zu Gast bei Freunden waren. Dass Berliner nicht nur nölig sind, sondern auch helfen. Dass der Busfahrer auf Englisch antwortet. Der Berliner Charme ist herb, aber wir haben schnell Herz gezeigt. Diese Kultur sollten wir pflegen.

Warum ist das nicht immer selbstverständlich?

Selbstverständlich war es bisher nur in der professionellen Dienstleistung. Diesmal war es freiwillig, spontan, die Freundlichkeit war kein Business. Wie oft schaute man früher weg, obwohl man wusste, der sucht den Weg? Nee, da hat man plötzlich hingeschaut und geholfen – sich verbrüdert. Und die Touristen fühlen sich wohl. Ich erinnere mich gern an eine Begegnung auf der Fanmeile. Vor mir saß eine Familie aus Tel Aviv, die sicherlich mit dem Holocaust konfrontiert wurde. Der Vater kam aus Israel, der Sohn lebt in Berlin. Gemeinsam haben sie die deutsche Mannschaft angefeuert. Das hat mich emotional berührt.

Wo ist das Ost-West-Gejammer geblieben?

Verschwunden. Offensichtlich vereint Fußball mehr, als wir alle denken. Was haben wir vor der WM nicht alles an Horrorszenarien aufgezeichnet? Leere Fanmeilen, unsichere Stadien, Ost-West-Gefälle – und dann ertönt der Anpfiff und der Schalter ist umgelegt. Wir sind eine Stadt mit unterschiedlichen Quartieren. Aber Teilnehmer am Autokorso während der Fußball-WM auf dem Kurfürstendamm kamen nicht nur aus Charlottenburg, sondern auch aus Prenzlauer Berg. Das hätte es früher nicht gegeben.

Nehmen wir das Jahr 1993 – was ist der Unterschied zu den Berlinern im Jahr 2006?

Die Berliner haben sich von ihrer Inselmentalität befreit. Sie schauen mehr auf die Internationalität. Und die Berliner sind offener geworden.

Im Jahr 1993 ist die Bewerbung für die Olympischen Spiele gescheitert.

Aber nicht, weil die Bewerbung um Olympia falsch war. Sie war dilettantisch vorbereitet und mit einer Erwartungshaltung versehen, die nicht der Realität entsprach. Dem IOC ist es nicht wichtig, ob die gesamte Bevölkerung dahinter steht. Es war eine totale Fehleinschätzung der Chancen Berlins. Man glaubte damals, so kurz nach dem Mauerfall, automatisch die Olympischen Spielen zu bekommen. Dabei gab es andere Prioritäten. Die Taktik war unprofessionell.

Stehen die Berliner jetzt hinter den Olympischen Spielen?

Sie können ja mal die Berliner spontan auf der Straße fragen. Sie werden es nicht erreichen, dass sie jubeln. Das ist nun mal Berliner Mentalität. Die kriegen Sie nicht zum Vorab-Hurra. Das war bei der WM im Vorfeld nicht anders. Aber wenn das Ereignis da ist, sind auch sie zu begeistern. Oder fragen Sie mal: Freuen Sie sich auf die Leichtathletik-WM 2009? Auf die Antwort bin ich gespannt. Das war bei der WM im Vorfeld nicht anders. Aber wenn das Ereignis da ist, sind auch sie zu begeistern. Das ist Berlin.

Warum sollte sich Deutschland dennoch mit Berlin für die Olympia bewerben?

Eines ist erst einmal wichtig: Was wir ganz bestimmt nicht brauchen, ist ein ruinöser Wettbewerb von drei, vier Städten, die wir in einem nationalen Vorentscheid aufeinander hetzen. Wir brauchen eine nationale Geschlossenheit, keinen Schönheitswettbewerb. Technisch gesehen können mehr Städte Olympia organisieren, Berlin genauso wie München oder Hamburg. Aber eigentlich kann es in diesem Land nur Berlin sein. Wir haben im vergangenen Jahr den größten internationalen Sportkongress in der Stadt ausgerichtet, damit die Funktionäre Berlin ohne Druck kennen lernen können. Das war 1993 anders, da hat man sich erst bemüht, als die Bewerbung lief. Das musste schief gehen.

Also klappt es jetzt ganz sicher mit den Olympischen Spielen 2020, oder wie?

Sicher ist gar nichts. Wir Berliner müssen auch mal das Verlieren lernen. Es ist keine Schande, wenn wir die Olympischen Spiele 2016 nicht bekommen, weil jeder weiß, dass die Spiele nicht in Europa stattfinden. Dennoch sollten wir uns bewerben, um uns bekannt zu machen, um die Erfahrungen zu sammeln. Da muss niemand Angst haben, dass er als Trottel dasteht, weil er nicht das gewonnen hat, was nicht zu gewinnen war. Konkret angreifen müssen wir 2020. Bis dahin sind auch die Sportfunktionäre gefragt, weil ein Deutscher Vertreter genau so viele Stimmen hat wie einer aus, sagen wir, Nairobi: nämlich eine. Sie müssen also die Lobbyarbeit machen. Dann haben wir eine Chance für 2020 – oder 2024.

Und was müssen wir dafür eher beseitigen: Berliner Schnauze oder Hundedreck?

Weder noch. Ich habe darüber gerade erst mit Tourismus-Experten gesprochen. Die haben bei einer Begehung festgestellt, dass es gar nicht so schlimm ist in Berlin mit dem Hundedreck am Kurfürstendamm oder in den Touristenzentren. Und die Berliner Schnauze gehört zu Berlin.

In welchen Abständen braucht eine Großstadt solche Großereignisse?

Das kommt auf die Stadt an. Für Barcelona 1992 oder Athen 2004 waren die Olympischen Spiele riesige Investitionsmaßnahmen, um die Infrastruktur aufzubauen. Autobahnen, U-Bahnen, ganze Stadtquartiere. Berlin hat das nicht nötig, weil unsere Infrastruktur sehr gut ist. Allerdings können wir materiell von der Werbeplattform profitieren und uns international vermarkten. Das ist unbezahlbar. Und ideell ist so eine Großveranstaltung wichtig, weil sie die Menschen in der Stadt verbindet, unabhängig vom Arbeitgeber, der Partei oder der Gewerkschaft. Wir spüren dann einen neuen Spirit, wie jetzt, bei der WM – und Berlin profitiert davon weit über die Stadtgrenzen hinaus. Das ist gut für die Reputation.

Was ist wichtiger für Berlin: Dass bei der Föderalismusreform jetzt die Hauptstadtklausel ins Grundgesetz kommt oder dass die Republik gespürt hat, dass diese Hauptstadt die Feierstimmung für diese tolle WM vorgegeben hat?

Im harten politischen Alltag war die Diskussion über die Hauptstadtklausel wichtig, wir mussten kämpfen und zum Schluss hat es keine Zuckungen gegeben, diese am Ende zu beschneiden. Sie war akzeptiert. Das ist ein normaler Prozess in einer föderalen Struktur. Was bedeutet denn Hauptstadt in einem föderalen Staat? Edmund Stoiber hat München als WM-Stadt in seiner Landesvertretung in Berlin präsentiert. Das war früher undenkbar. Das ist ein Lernprozess, dass in einer föderalen Struktur ein starkes Bundesland die Hauptstadt für sich nutzen kann. Das ist ein Geben und Nehmen, wir sind auch Dienstleister für die Republik. Und es nützt dem Land genauso, dass die Bilder aus Berlin der Welt das fröhliche, freundliche und begeisterungsfähige Deutschland präsentiert haben.

Nach vier Wochen Party, Millionen auf der Fanmeile und fröhlichen Berlinern: Wird Bundestrainer Jürgen Klinsmann nun Ehrenbürger der Stadt?

Jürgen Klinsmann hat Großes geleistet. Mit der Ehrenbürgerschaften allerdings werden andere Verdienste geehrt als jene, die Jürgen Klinsmann erbracht hat. Also: Nein. Aber vielleicht bekommt er ja einen Orden von der Bundesregierung.

Das Gespräch führten André Görke und Gerd Nowakowski

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