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EICHWALD & Ich FOLGE  10: Kluft nach oben

Aus meinem WG-Leben mit einem Bundestagsabgeordneten.

„Das geht klar, der gehört zu mir!“, ruft Eichwald und schiebt mich an zwei Türstehern vorbei, während er beiläufig seinen Abgeordnetenausweis hochhält. „Siehst du“, sagt er zehn Meter weiter, „ich habe dir gesagt, dass das klappt.“ Er schaut sich um. „Und wo sind wir jetzt?“ „Fashion Week“, sage ich. Eichwald nickt. „Das ist die Sache mit den Klamotten, oder?“ – „Schon, ja.“

„Gut, aber ganz ehrlich“, sagt Eichwald, während er Lachshäppchen auf seiner Handfläche stapelt, „würdest du so was auf dem Fahrrad anziehen?“ Ich schaue zur großen Videowand. „Für mich“, sagt Eichwald, „muss Mode ja in erster Linie praktisch sein, ich bin da mehr der anpackende Typ, hier ...“ Eichwald zeigt mit einem frittierten Shrimp auf sein Sakko. „Qualität, klar, aber auch“, sagt er, hebt drei Mal die Schultern und kreist mit dem Oberkörper, „von der Stofflichkeit eher wendig.“ Ich schaue ihn an. „Gut“, sagt er, „aber ist auch eine Generationenfrage. Noch ein Sektchen?“

„Weißt du“, sagt Eichwald, als er mit zwei vollen Gläsern zurückkommt, „ich habe das im Fernsehen gesehen: Die meisten Models, wenn du die auf der Straße treffen würdest, da würdest du gar nicht denken, hier, ‚Hoppla!‘. Ganz im Gegenteil!“ Eichwald knufft mich und zeigt auf eine Gruppe junger Frauen. „Hier, sieht man jetzt nicht, aber eigentlich alle total unmarkant. Wichtig ist, dass man viel draus machen kann. Mit Schminke, weißt du.“ – „Sag lieber Make-up“, sage ich, „das klingt nicht so nach Clownsschule!“ Eichwald winkt ab. „Ach“, sagt er, „ist doch eh alles Zirkus hier.“ – „Hajo, die Leute gucken schon.“ – „Mann“, ruft er, „wird man ja wohl noch sagen dürfen!“

„Und weißt du auch“, sagt Eichwald, nachdem wir uns aus dem Barbereich zurückgezogen haben, „mein Vater hat ja immer gesagt: Zieh bloß immer ins hässlichste Haus der Straße, weil dann bist du der Einzige, der schön den ganzen Tag rausgucken kann und nicht immer denkt, ‚Scheiße!‘“ – „Und deswegen ziehst du dich immer so an?“ – „Nein, nein, ich habe eigentlich immer das Gegenteil von meinem Vat ...“ Eichwald schaut mich an. „Was soll denn das jetzt? Meine Sachen sind zeitlos. Nur weil das nicht kneift zwischen den Beinen wie bei deinen Hipsterfreunden ...“ Wir stehen inzwischen wieder vor der Videowand. „Und hier“, sagt Eichwald, „von wegen ‚Der Eichwald hat sich wieder im Dunkeln angezogen!‘ – das war doch neulich genau das Strickding hier, mit dem der da jetzt rumläuft. Da hatte ich ’nen Riecher!“ – „Du meinst deinen Sonntags-Pulli? Der ist einfach zu eng.“ – „Nein, Stefan, der ist tailliert, schau doch mal, das trägt der Mann da auch so. Oder ist das eine Frau?“ Eichwald kneift die Augen zusammen. „Mann“, sagt er schließlich, „was soll denn das mit den kurzen Haaren? So ein hübsches Gesicht ...“ – „Aber nur wegen der Schminke“, sage ich. „Natürlich“, sagt Eichwald. „Natürlich.“

Stefan Stuckmann

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