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Berlin: Kluge Karpfen lieben Kirschen und Kaninchen

Mit wachsendem Millenium-Fieber kommt alles immer kiloweise, sprich mit drei Nullen am Ende. Was um alles in der Welt haben die armen Fischlein angestellt, dass bloß das Jahrhundert-Exemplar dieser Gattung gesucht wurde?

Mit wachsendem Millenium-Fieber kommt alles immer kiloweise, sprich mit drei Nullen am Ende. Was um alles in der Welt haben die armen Fischlein angestellt, dass bloß das Jahrhundert-Exemplar dieser Gattung gesucht wurde? Egal wie. Der beliebteste Speisefisch also wurde gestern verkündet vom Deutschen Anglerverband, das ist der mit all den naturbelassenen Gewässern in den neuen Bundesländern. Dazu hatte man in den gut mit Neonlicht ausgeleuchteten Saal 6 des Hotels Sylter Hof eingeladen. Man war sehr stolz auf die Gründlichkeit der Untersuchung, die nicht nur die Rangfolge der Fische berücksichtigte, sondern auch die Generationszugehörigkeit der Wähler.

Und der Gewinner war - Tusch! - der Karpfen. Ein Favorit der Älteren. Kein Wunder, denn so ein ausgehendes Jahrhundert hat ja einiges auf dem Buckel, zum Beispiel auch jede Menge schlechte Zeiten, und da mag der Karpfen, von dem eine fünfköpfige Familie lässig satt werden kann, etliche gute Gefühle kreiert haben. Gleich auf Rang zwei landete - auch der Moderne muss schließlich gehuldigt werden - die Forelle, der ranke Single-Fisch fürs Abendbrot im allerkleinsten Kreis. Was der Hering verbrochen hat, dass er mit schlappen 13 Prozent nur auf Rang Drei landete, immerhin noch vor Zander (11 Prozent) und Aal (acht Prozent), war nicht ganz klar. Das hätte doch so eine schöne Laudatio geben können: Vom Bismarck-Hering zum Millenium-Happen auf Weißkohl; Kulturgeschichte, die durch den Magen geht. Es gab aber auch so eine schöne Laudatio, und zwar von Siegfried Lenz, der mit dem akademischen Verspätungsviertel auf dem gründlich gemusterten Teppichboden Aufstellung nahm und seine angelnden und nicht angelnden Zuhörer dankenswerterweise aus dem Neonlicht fort- und zu seinem Meditationsbänkchen hinführte, welches passender Weise an einem Karpfenteich steht. Den Fischen hat er dort, gleich nach der Erhebung des Karpfens in den Jahrhundert-Status, eine Gedankenrede auf Fischart gehalten, "also stumm", lediglich untermauert von einigen Scheiben Weißbrot, die im Teich den Festschmaus gaben. Karpfen mögen auch Kirschen, Kaninchenragout und Teigpastete, dafür werden sie bis zu 30 Pfund schwer und laichen etwa 600 000 Eier aus.

Auch sonst gab es bei diversen Reden einiges zu lernen, zum Beispiel, dass Angler und Fischer in einem Boot sitzen und dass es einen Vositzenden der Fischereiverwaltungsbeamten und Fischwissenschaftler gibt. Wenn da nicht der Karpfen im Teich verrückt wird, wird er gewiss niemals einen Fisch-Psychiater brauchen. Ach ja, und nach der Lenz-Laudatio gab es noch ein Kulturprogramm, das eine Dame namens Karpfen-Jule bestritt und das im Wesentlichen aus einem Lied mit vielen Strophen bestand, in das manche fröhliche Anglerin mit Lust einstimmte. Auf dem Büffet warteten Karpfen in mancherlei Variationen, mit Sauerkraut zum Beispiel, mit Biersauce oder mit Gemüse, alle aber mit dünnen Gräten, die dankenswerterweise Reaktionsgeschwindigkeit und Aufmerksamkeit des Fischessers schulen. Leider geht der Trend ja immer heftiger Richtung Bequemlichkeitsnahrung, und da war vielleicht der SAT-1-Wochenshow-Moderator Ingolf Lück einfach ein Jahrhundert zu früh mit seiner Antwort zum Thema Lieblingsfisch, die da - nun raten Sie mal - lautete: "Fischstäbchen!" Schade nur, dass die so schwer zu angeln sind.

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