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Aber ihre Idee, in die Türkei auszuwandern, hat sie aufgegeben: "Ich möchte lieber in Deutschland leben."

© Kai-Uwe Heinrich

Kolumne "Meine Heimat": Hatice Akyün hat Lust am Angriff

Unsere Autorin musste für ihre letzte Kolumne viel Kritik einstecken. Jetzt verteidigt sie das Recht auf eine pointierte Meinung.

Ich bin ein unverbesserlicher Optimist. Das ist auch der bessere Weg, um mit dem, was über einen hereinbricht, umzugehen. Wie, werden einige sagen, nörgelt die doch fast jeden Montag rum und kriegt sogar noch Geld dafür. Ja, kann ich da nur sagen, ich darf mir hier Luft machen. Aber genau genommen kritisiere ich nur deshalb, weil ich glaube, es ginge auch besser. Im Gegensatz zum Pessimisten füge ich mich nicht dem, was sowieso kommen wird, bevor es so weit ist.

Für meine Kolumne vergangene Woche musste ich viel Kritik einstecken. Ein Leser meinte, meine Beschreibung des künftigen Regierenden sei menschenverachtend. Wenn man das so empfinden konnte, tut mir das leid. Andererseits schrieb ich ja nicht über den glatt gebügelten, stromlinienförmigen, nirgendwo aneckenden Müller. Und dass er von „unten“ kommt, zeichnet einen Politiker für mich aus. Zudem schreibe ich als Kolumnistin ja keinen Bericht, sondern versuche, den Dingen auf den Grund zu gehen, den Unsinn hinter dem politischen Treiben zu erkennen. Und dabei bin ich manchmal eindeutig, meistens verständnisvoll, aber immer angriffslustig.

Bei den kritischen Zuschriften ist mir noch etwas aufgefallen. Tatsächlich ging es diesmal ausschließlich um meinen Stil, meine Meinung. Es ging mit keinem Wort um meine ethnische Herkunft. Das hat mich gefreut. Allzu oft werde ich genau dafür kritisiert, dass es mir als Türkin nicht zustehe, über Deutsches zu urteilen.

Es gibt mehr als nur eine Wahrheit

Mal zurückgefragt: Wann kritisieren Sie andere und vor allem warum? Manche machen das, um sich abzuheben und sich danach besser zu fühlen. Andere, und das ist wohl die Mehrheit, mault an den Zuständen, weil ihnen etwas daran liegt. Wenn man das Glück hat, Freunde zu haben, die einen konstruktiv kritisieren, weil man ihnen wichtig ist, genießt man das Privileg sozialer Kontrolle im besten Sinne.

„Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus“, sagte einer der Rechtspfleger in Duisburg während meiner Ausbildung zur Justizangestellten, wenn es am Schalter zum verbalen Schlagabtausch kam. Mich erschreckte das damals, bis ich erkannte, dass der Ausbruch nicht mir galt, sondern dem Verfahren, das sich verfahren hatte. Und als einzig greifbare Person des Rechtsstaates durfte dann ich stellvertretend herhalten.

Genauso wenig, wie ich unsensibel lospoltern sollte, wenn mir etwas querliegt, sollten jene, die etwas kritisieren, vergessen, dass es mehr als nur eine Wahrheit gibt. Genau genommen habe ich meine Sicht auf die Vorgänge dargestellt – ironisch, überspitzt und bissig. Das muss niemandem gefallen und niemand muss mir zustimmen, aber wer sich darüber so echauffiert, dass er mit Abokündigung droht, weiß im Gegensatz zu mir anscheinend alles besser, mit dem kleinen Defizit, dass die Unwissenden unwissend bleiben, solange man es ihnen nicht vermittelt.

Mein alter Landesvater Johannes Rau mahnte einst, die Streitbarkeit der Gesellschaft nicht in Harmonie bis zur Harmlosigkeit verkommen zu lassen. Dass mein Kopf eine eigene Meinung hat, daran arbeite ich weiter. Oder wie mein Vater sagen würde: „Söz var is bitirir. Söz var bas yitirir.“ Es gibt Worte, die führen zum Ziel. Es gibt Worte, die kosten den Kopf.

Hatice Akyün ist in Anatolien geboren, in Duisburg aufgewachsen und in Berlin zu Hause. An dieser Stelle schreibt sie immer montags über ihre Heimat.

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