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Unsere Kolumnistin Hatice Akyün musste mal weg, um Berlin wieder schätzen zu können. Anfangs hat sie die Auszeit in der Schweiz genossen, aber dann hörte sie Sätze wie: "Die Schweiz muss wieder den Schweizern gehören."

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Kolumne "Meine Heimat": Keine Schweizer Lösung für Berlin

Erst freut sich unsere Kolumnistin Hatice Akyün, als sie in die Schweiz eingeladen wird und aus Berlin fliehen kann. Doch als sie Sätze hört wie: "Die Schweiz muss wieder den Schweizern gehören", hört der Spaß für sie auf.

Mein Schweizer Freund lud mich in sein Heimatland ein. Er revanchierte sich für meine über das ganze Jahr erstreckende Gastfreundschaft in Berlin. Dankend nahm ich die Einladung an, auch, weil meine Toleranzgrenze in Berlin manchmal derart überfordert wird, dass ich Hals über Kopf die Stadt verlassen muss. Die vollen U-Bahnen und Busse, die mürrischen Mitbewohner, die Ignoranz der Verkehrsteilnehmer, mein Nachbar mit seinem kläffenden Hund.

Nun ist es so, dass ich von der Schweiz nicht viel kenne, also in meiner Einschätzung ziemlich unbedarft bin. Das Erste, was mir auffiel, waren die leeren Züge, Busse und Straßen. Nur die Cafés waren gut gefüllt, nicht überfüllt. Als ich in einem dieser schönen Cafés saß, gemütlich meinen Schümli und mein Gipfeli genoss, lauschte ich dem Gespräch von zwei Schweizern am Nebentisch. Der eine sagte: „Überall verstopfte Straßen und Züge, Wohnungsknappheit, keine Arbeit für Schweizer, Ausnutzen unserer Sozialsysteme. Ich werde für die Volksinitiative stimmen.“ Und der andere antwortete: „Ja, die Schweiz muss wieder den Schweizern gehören.“

Das Mitgehörte ließ mir keine Ruhe und ich wollte wissen, was es mit dieser Initiative auf sich hatte. Ich fand heraus, dass die Schweizerische Volkspartei SVP, so etwas wie bei uns die CSU, eine Volksabstimmung gegen eine sogenannte Masseneinwanderung startet. Dazu muss man wissen, dass die Schweiz schon jetzt eines der strengsten Einwanderungsgesetze der Welt hat. In der Schweiz beim Thema Masseneinwanderung von Maßlosigkeit zu sprechen ist so, als würde Deutschland bei drei Millionen syrischen Kriegsflüchtlingen über die galaktische Zahl von 5000 Flüchtlingen reden, die es aufnimmt.

Hatice Akyüns Nackenhaare stellen sich auf, wenn sie das hört

Es stellen sich mir die Nackenhaare auf, wenn ich „Heimat und Brauchtum bewahren“ höre. Die Schweiz ist schön, sehr schön sogar. Das Land floriert, hat eine Staatsverschuldung, die prozentual halb so hoch ist wie die unseres Landes, eine Arbeitslosigkeit unter vier Prozent und ein Pro-Kopf-Einkommen, das konservativ gerechnet doppelt bis dreifach so hoch liegt wie das von Berlin.

Hatice Akyün ist in Anatolien geboren, in Duisburg aufgewachsen und in Berlin zu Hause.
Hatice Akyün ist in Anatolien geboren, in Duisburg aufgewachsen und in Berlin zu Hause.

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Der Blick über den Tellerrand fehlt

Offenbar schafft man durch einen hohen Lebensstandard nicht automatisch den Blick über den eigenen Tellerrand. So grotesk mir diese Schweizer Initiative auch vorkommen mag, annähernd die Hälfte fühlt sich vom Fremden bedroht, auch, wenn Ausländer maßgeblich an der Wertschöpfung des Landes mitwirken. Unter Ausländern versteht die Schweiz nicht nur die Menschen, gegen die derzeit unsere CSU Stimmung macht. Nein, es sind auch deutsche Ärzte, österreichische Professoren, italienische Architekten und französische Ingenieure gemeint. Den Spruch, jeder ist irgendwo Ausländer, bekommen auch die Europäer zu spüren, die zwar gebraucht, aber als Fremdkörper betrachtet werden. Umso verwunderlicher ist es, dass Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch gesprochen wird, die Schweiz sprachlich sogar ein multikultureller Raum ist.

Hatice Akyün sehnt sich nach Berlins Bodenständigkeit

In Anbetracht dieser Luxusxenophobie, sehne ich mich nach meinen bodenständigen Reibeflächen zwischen den Kulturen in Berlin zurück. Nein, Berlin ist sicher kein konfliktfreies Beispiel für Einwanderung, aber moderner, menschlicher und zukunftsweisender als die abgeschottete Puppenstube Schweiz. Wir sind nicht perfekt, aber wir Berliner wissen um die Chancen der Einwanderung. Kulturelle Vielfalt ist mühsam, bisweilen sogar nervenaufreibend, aber sie macht das Leben realer und reichhaltiger. Es ist gut, manchmal zu gehen, um dann umso lieber wieder zurückzukommen.

Oder wie mein Vater sagen würde: „Düşmana kuyu kazincaya kadar, dosta ev yap.“ Statt dem Feind eine Grube zu graben, baue dem Freund ein Haus.

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