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Leeres Fußballstadion in Brasilia.

© dpa

Kolumne "Meine Heimat": Nach der WM 2014: Pläne für die zweite Halbzeit

Seitdem die Fußball-Weltmeisterschaft vorbei ist, verspürt unsere Kolumnistin Hatice Akyün eine tiefe Leere in sich. Doch sie hat den Jungs mit den vier Sternen eine Sache voraus.

Hat es Sie auch eiskalt erwischt? Die Fußball-Weltmeisterschaft ist vorbei, und ich spüre eine tiefe Leere in mir. Jeden Tag war etwas los, sogar Montage hatten einen Sinn und man fühlte sich wie im Urlaub in Dauerfeierlaune. Aber nun wird klar, dass ich wochenlang ein Thema über alle anderen Themen gestellt habe. Ich werde in den nächsten Tagen immer wieder in noch tiefere Löcher fallen, besonders dann, wenn das Liegengebliebene, das sich unerledigt auf meinem Schreibtisch stapelt, immer höher wird.

Über den Gaucho-Tanz der Jungs konnte ich noch müde lächeln. Es zeigte schlussendlich, dass Fußballer, so fantastisch sie auch kicken können, eben junge Leute sind und keine Diplomaten oder Außenminister. Zugegeben, ich lege da auch meine Interpretation eines offenen, unverkrampften, zielstrebigen, aber keineswegs herablassenden Landes in die Mannschaft hinein.

Manche Fans auf der Fanmeile konnten ihr Glück nur noch mit Mühe im Ausstoßen des Landesnamens artikulieren. Das erinnerte mich daran, wie ich 1985 gebannt vor dem Röhrenfernseher saß, als der 17-jährige Boris Becker im Wimbledon-Finale Kevin Curren vom Platz kämpfte. Die Interviews, die er hinterher gab, wurden auch nie Meilensteine des Journalismus. Der Schleier der Weltmeister-Euphorie jedenfalls ist bei mir schnell verflogen. An allen Ecken und Enden brennt die Welt und man denkt, die Vernunft sei gerade unbekannt verzogen.

So sehr ich mich auch bemühe, ich bleibe einfach in der Endlosschleife des Alltags stecken. Mein Marktwert ist jedenfalls in den letzten Wochen nicht um Millionen gestiegen. Aber wie das geht, zeigt einem ja das ZDF, das sich offenbar den ADAC zum Vorbild nahm und an den Beliebtheitsrankings rumgeschraubt hat. Oder der nette Reporter in Brüssel, der in der Pressekonferenz als Klassenstreber auftrat und der einzigen Physikerin, die keine Experimente mag, ein Geburtstagsständchen trällerte. Was braucht man Feinde, wenn man solche Freunde hat? Sei es drum.

Damit mein Alltag in all seinen Facetten von Grau mich nicht verschluckt, müssen die Stapel abgearbeitet und die Merkzettel abgehakt werden. Und dann, damit ich die Zeit der toten Hose, die nun über die Republik hereinbricht, ein wenig genießen kann, brauche ich einen Schlachtplan für meine Vorbereitung auf die nächste Saison. Schließlich hat mein Jahr erst Halbzeit.

Wettbewerbsbedingt fiel die Türkei dieses Mal für Urlaub aus, die Nordsee musste reichen. Auch kein Fehler, da ich meine Sonnenallergie auch in Deutschland gut ausleben kann, und das bei 15 Grad weniger.

Weltmeister werde ich vermutlich in keiner Disziplin, aber von unseren Jungs habe ich gelernt, dass man sich körperlich fit fühlen, mental einiges wegstecken und immer das avisierte Ziel im Blick haben muss, gerade wenn man zwischendrin etwas schwächelt. Es ist also an der Zeit, wieder Pläne zu machen. Ich habe mir einen Plan A zurechtgelegt. Falls der scheitert, habe ich so viele Alternativen wie möglich in petto, damit es nach vorne geht.

Eine Sache habe ich den Jungs mit dem 4. Stern aber voraus. Ich bin noch lange nicht an der Spitze. Aber der Antrieb, etwas zu bewegen, ist nun da. Oder wie mein Vater sagen würde: „Türk gibi basla, alman gibi bitir.“ Beginne eine Sache wie ein Türke und beende sie wie ein Deutscher.

Hatice Akyün ist in Anatolien geboren, in Duisburg aufgewachsen und in Berlin zu Hause. An dieser Stelle schreibt sie immer montags über ihre Heimat.

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