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Reihenhaus oder Townhouse, das ist hier die Frage. Die zweite Variante klingt auf jeden Fall schicker.

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Kolumne "Meine Heimat": Oje, Reihenhaus!

Unsere Kolumnistin Hatice Akyün erwägt, dem Nonkonformismus untreu zu werden. Nach etlichen Jahren in wuseligen Wohngemeinschaften, engen Single-Apartments und hippen Altbauwohnungen hat sie jetzt vor, in ein Reihenhaus zu ziehen.

Was ist nur aus mir geworden? Da verlasse ich die Enge meiner Zechenhaussiedlung in Duisburg, um etwas aus meinem Leben zu machen, stürze mich in Großstädte und Metropolen, wohne in Wohngemeinschaften, eheähnlichen Umständen, engen Single-Apartments und hippen Altbauperlen, um am Ende wieder dort zu landen, von wo ich einst geflohen bin: aus einem Reihenhaus mit Parkbucht für den Kombi, Kugelgrill und geschotterter Einfahrt. Ich musste gehen, weil mir dort gefühlt alle Möglichkeiten verwehrt wurden.

Ja, ich denke ernsthaft darüber nach, in ein Reihenhaus zu ziehen. Weil mir dieses Wort allerdings nicht so locker über die Lippen geht, erzähle ich Freunden lieber von dem Townhouse im übernächsten aufsteigenden Viertel von Berlin. Das muss es wohl sein, das gesetzte Alter, über das die Mittvierziger sprachen, als ich, die Mittzwanzigerin schwor, alles zu tun, um niemals so zu werden. Es fühlt sich an, als ob sich ein mir bislang verborgener Automatismus kurz vor meinem 45. Lebensjahr genetisch den Weg in mein unabänderliches Schicksal pflügt. Meine Berliner Umgebung färbt so stark auf mich ab, dass ich mich dem Sog offenbar nicht entziehen kann. Aber das Eigenartige ist, dass mich die Vorstellung überhaupt nicht abschreckt. Ganz im Gegenteil, sie ist sehr wohlig und heimelig.

Kapitulation gegenüber dem Ikea-Katalog

Bisher wollte ich nie mit den Wölfen heulen, egal, ob in Wohnquadraten hochkant, mehrgeschossig oder parzelliert nebeneinander. Die Normierung in einer vorgeformten Umgebung betrachtete ich als Kapitulation gegenüber dem Ikea-Katalog samt den einheitlichen Möbeln, Produkten der Firma Apple nebst den Style-Beilagen und dem sanften Zwang, den Kühlschrank mit Bioprodukten zu bestücken. Und nun denke ich: Sind wir nicht alle ein bisschen Reihenhaus? So werden meine Zweifel wenigstens ein bisschen erträglicher.

Mir ist aufgefallen, dass es in Berlin drei Überlebensstrategien gibt: Man gehört zu der einprozentigen Krume, die sich das ganze Jahr als nie enden wollender Sylt-Urlaub inszeniert. Berlin mag die eigentlich nicht, lässt sie aber gewähren, weil sie davon ablenken, dass wir im Grunde unseres Herzens nichts mehr wollen, als in Ruhe abgeschottet nebeneinander herzuleben. Die zweite ist, regelmäßig kleinere Brötchen zu backen, lauter Kompromisse zu schließen und außerhalb Berlins den Weltstädter raushängen zu lassen. Und die dritte Strategie ist, aus der Ausnahme die Regel zu machen, zwischen den Stühlen zu kauern, um sich entweder eines Tages über die erste Option den teuer erkauften Freiraum zu schaffen oder infolge eines Ermüdungsbruches doch den Weg in eine überschaubare, aber geordnete Existenz anzutreten.

Träume umsetzen

Doch in welche Richtung man sich auch bewegen möchte oder kann – um seine Träume verwirklichen zu können, sollte man vorher aufwachen und es zumindest versuchen, sie umzusetzen. Manchmal ertappe ich mich dabei, dass mir viele meiner Träume abhandengekommen sind. Vielleicht ist es aber auch nur ein Zeichen dafür, dass ich endlich in Berlin angekommen bin. Oder wie mein Vater sagen würde: „Hareketten bereket dogar.“ Sich regen bringt Segen.

Hatice Akyün ist in Anatolien geboren, in Duisburg aufgewachsen und in Berlin zu Hause. An dieser Stelle schreibt sie immer montags über ihre Heimat.

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