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Berlin: Kopfloser Aufmarsch

Die Zeit der großen Autokraten ist vorbei – jetzt sind die Gewerkschaften im Tarifkonflikt mit dem Senat ohne klare Führung

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Früher, als die Welt noch in Ordnung war, hatten die Berliner Gewerkschaften einen richtigen Boss. Zum Beispiel Walter Sickert, der in den Sechziger- und Siebzigerjahren den DGB-Landesverband in West-Berlin fest im Griff hatte und gleichzeitig Präsident des Abgeordnetenhauses war. Ein Mann mit klarem Weltbild. In jugendlichen Jahren KPD-Mitglied, seit dem Mauerbau ein glühender Antikommunist, der aus der SPD austrat, als seine Partei mit der PDS koalierte.

Unter Sickert wäre es wohl nicht passiert, dass einzelne Gewerkschaften in einem Tarifkonflikt unterschiedliche Positionen zu Markte tragen. So wie am Freitag: Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und die Gewerkschaft der Polizei (GdP) kamen dem Senat mit seinem Vorschlag, eine Nullrunde mit Arbeitszeitverkürzung auszugleichen, vorsichtig entgegen. Damit stellten sie sich gegen die große Gewerkschaftsschwester Verdi – doch es nutzte nichts: Innensenator Körting (SPD) geht das Angebot nicht weit genug.

Auch Sickerts Nachfolger, Michael Pagels, war ein durchsetzungsfähiger, sehr politischer Kopf. Eng verbandelt mit der SPD-Spitze und der sozialdemokratischen Parlamentsfraktion. Der frühere ÖTV-Chef Kurt (Kutte) Lange war auch so ein Kaliber, bis er 1997 den Ex-Gewerkschaftskollegen Pagels als Vorstandsmitglied bei der Bewag ablöste. Nicht zu vergessen Horst Wagner, ehemals Vorsitzender der IG Metall, und SPD-Abgeordneter, dann Verkehrssenator. Alles gestandene Mannsbilder, Autokraten, eisenharte Tarifkampfmatadore, die mit dem SPD-Parteibuch auf die Welt kamen. Funktionäre ohne Selbstzweifel am besitzstandswahrenden Gewerkschaftskurs.

Heute funktioniert Gewerkschaftspolitik etwas anders: Der DGB-Landesbezirkschef Dieter Scholz geißelt zwar den technokratischen Sparkurs des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit und schreibt böse Briefe an den SPD-Landesvorsitzenden und Ex-Parteilinken Peter Strieder, der ein flexibler Modernisierer geworden ist. Aber Scholz ist kein Machtmensch, sondern ein intellektueller Grübler, der die Einzelgewerkschaften tun lässt, was sie für richtig halten.

Allen voran die neue Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, an deren Spitze die Diplom-Soziologin Susanne Stumpenhusen steht. Eine taffe Frau, die in der Lage ist, über den gewerkschaftlichen Tellerrand hinauszublicken. Aber keine Führungspersönlichkeit – und als Frau für manchen Funktionärskollegen Herausforderung genug, um an ihr vorbei Verbandspolitik zu machen. So wie die Berliner Chefs von GdP und GEW, Eberhard Schönberg und Ulrich Thöne. Sie arbeiten hart am eigenen Profil und sind tarifpolitisch so berechenbar wie die Zyklen des Monds.

Leute mit respektablem Beharrungsvermögen sitzen auch im DGB und bei Verdi, in der zweiten Reihe. Zum Beispiel der stellvertretende DGB-Vorsitzende Bernd Rissmann und der Verdi-Fachbereichsleiter Burkhardt Thiemann. An solchen Kollegen müssen sich diejenigen Gewerkschafter reiben, die endlich Bewegung in den immer noch schwer beweglichen und personalpolitisch unübersichtlichen Apparat bringen wollen.

Harte, auch lautstarke und erbitterte Auseinandersetzungen haben in den vergangenen Monaten gewerkschaftsintern stattgefunden: über den richtigen Umgang mit dem beinharten Sparkurs des Senats. Dass der kompromisslose Widerstand gegen das Angebot „Nullrunde bei Arbeitszeitverkürzung“ ein Fehler war und zur Zerstörung der bundesweit einheitlichen Tarifstruktur im öffentlichen Dienst beiträgt, wird in den eigenen Reihen längst nicht mehr geleugnet. Unklar ist aber, wer sich an die Spitze einer reformerischen Tarifbewegung setzen könnte.

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