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Berlin: Krieg der Knöpfe

Von Carina Frey Sie kicken um die Fußballweltmeisterschaft, rasen auf Skateboards über Geländer und Rampen und fliegen durch futuristische Landschaften - im Kaufhaus. Jeden Tag treffen sich Kinder und Jugendliche in den Videospielabteilungen und zocken an den Konsolen.

Von Carina Frey

Sie kicken um die Fußballweltmeisterschaft, rasen auf Skateboards über Geländer und Rampen und fliegen durch futuristische Landschaften - im Kaufhaus. Jeden Tag treffen sich Kinder und Jugendliche in den Videospielabteilungen und zocken an den Konsolen. Einige sind Dauergäste, sie stehen schon vormittags da.

Der Skateboarder gleitet über das Geländer, springt ab und dreht sich, begleitet von HipHop-Klängen, einmal um die eigene Achse, landet - und überschlägt sich auf dem Boden. Die Show ist zu Ende. Philipp hat den falschen Knopf gedrückt. „Ist voll Kacke, guck mal, was ich gemacht hab", ärgert er sich. Sein Bruder Mohammed löst den Blick kurz von seinem Skateboarder, der auf der anderen Bildschirmhälfte durch dunkle Hallen kurvt. „Er kann den Ball nicht kontrollieren", ruft eine Computerstimme dazwischen. Applaus, Pfiffe – auf der Spielkonsole gegenüber kicken Manuel und Wlada gerade um die Fußballweltmeisterschaft.

Sie alle kommen fast jeden Tag in den Elektronikmarkt am Kurfürstendamm. Dort stehen neben den Regalen voller Videospiele vier Konsolen bereit, an denen die Kunden Fußballspiele, Flugsimulatoren oder Autorennen testen können. Meistens allerdings sind die Konsolen fest in Kinderhand. An diesem Nachmittag tummeln sich zwölf Jungs im Alter von sechs bis 15 Jahren um die flimmernden Bildschirme. Sie tragen Baseballkappen und weite Klamotten, rufen: „Nicht so schnell" oder „Mann, spiel richtig" und streiten sich, wer als Nächstes an die Gamecontroller darf.

„Wir schließen die Konsolen erst um 15 Uhr an", sagt Verkäufer Ralph Sommerfeld, der auch dafür sorgt, dass „da nix mit Kampf" zu sehen ist. „Die Kleinen laufen zum Teil aber schon morgens ein und gammeln rum, bis es endlich losgeht."

Philipp ist einer davon. Er ist so klein, wie man mit sechs Jahren eben ist. Er muss seinen hellbraunen Wuschelkopf leicht in den Nacken legen, um den Skateboarder über den Monitor flitzen zu sehen. Philipp steht schon seit einer Stunde so da: mit leicht gegrätschten Beinen, angewinkelten Armen und starrem Blick. Nur seine Daumen hauen im Stakkato auf das schwarze Eingabegerät mit den vielen Knöpfe ein, lassen den Skateboarder Rampen hoch und rückwärts fahren. Das gibt Punkte. „Guck, ich gewinne", ruft Philipp plötzlich und lacht. Er stellt sich auf die Fußspitzen und tippt mit seinem ausgestreckten Arm auf den Punktestand, weil er so große Zahlen noch nicht sagen kann.

„Das Schuleschwänzen nimmt zu. Die Kinder haben durch die Spiele einen attraktiven Grund, nicht zur Schule zu gehen", sagt Stefan Schützler, der beim Berliner Verein Gangway als Streetworker arbeitet. 1999 befragte er für eine Untersuchung Jugendliche in Einkaufszentren. Center-Kids nennt er die Kinder und Jugendlichen, die ihre gesamte Freizeit in Kaufhäusern verbringen. „Viele haben mehrere Geschwister und kommen aus sozial schwächeren Familien", sagt er. „Wenn die genug Geld hätten, würde die zu Hause spielen."

Mohammed und Philipp sind inzwischen in direkten Wettkampf getreten. Beim Trickturnier müssen sie innerhalb von fünf Minuten zeigen, was sie drauf haben. Mohammeds Augen flackern immer wieder zum Bildschirm seines Bruders hinüber, Philipp blickt konzentriert geradeaus - beide plappern vor sich hin. „Wir haben einen Nintendo 64", erzählt Philipp - dann: „Au, hast du das gesehen?" Mohammed lässt sich nicht ablenken, erklärt, zu Hause dürften sie nicht viel spielen. „Aber wir können einfach gehen", sagt er. Philipp wird aufgeregt, knabbert auf der Unterlippe, wippt in den Knien - noch 20 Sekunden, und er liegt 100 000 Punkte vorn. Inzwischen hat sich eine kleine Gruppe gebildet, ein paar feuern die Spieler an. Lirido boxt seinem jüngeren Kumpel Dardan auf den Arm.

Beide beschweren sich laut und verlangen, dass sie nun endlich auch mal spielen wollen. „Wenn die hier anfangen, Ärger zu machen, fliegen sie raus", sagt Verkäufer Mathias Grimm, der ein paar Gänge weiter das Treiben beobachtet. „Dann brauchen sie am nächsten Tag auch gar nicht wiederzukommen." Streetworker Stefan Schützler sagt, dass sich bei den Spielen auch Aggressionen aufbauen können: Wenn mehrere Gruppen gleichzeitig zocken wollen oder einer immer verliert. „Dann ist keiner da, der die Konflikte klärt und sich wirklich um die Kids kümmert."

Mohammed ist inzwischen still geworden, es läuft wohl nicht so gut. Er zieht die Augenbrauen zusammen, die Daumen klappern auf den Pfeil-, Karo-, und Kreisknöpfen zur HipHop-Musik. „Tor", schreit der Computer von gegenüber. Philipp reißt die Ärmchen hoch: „Gewonnen!"

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