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Kein Kinderspiel. Solche Eindrücke bringen Flüchtlinge mit nach Berlin. Hier warten syrische Kinder auf ihre Registrierung in einem Camp in Barelias im Libanon.

© AFP

Kriegsflüchtlinge in Berlin: Kleiner Einsatz, große Gefühle

Mit Hilfe der Jugendorganisation „Youngcaritas“ haben Berliner Schülerinnen jetzt syrische Flüchtlinge besucht. Sie erlebten eine Stunde, die viel veränderte.

Mehr als 50 Millionen Menschen sind laut eines UN-Berichts weltweit auf der Flucht. Syrien, Gaza, Libyen, Ukraine – jetzt richtete auch der Papst angesichts von immer mehr Krisenherden einen Appell für Frieden an die Welt. Um sich ein Bild zu machen, wie aus ihrer Heimat Geflohene in unserer Stadt leben, haben junge Berliner syrische Flüchtlinge besucht, mit Unterstützung der Caritas-Plattform „Youngcaritas“. Klara-Luise Spielmann, 15, vom Canisius-Kolleg in Tiergarten und Alba Schwab De la O, 16, vom Paulsen-Gymnasium in Steglitz, berichten von ihren Erfahrungen.

Es ist Donnerstagabend. 13 Jugendliche stehen vor dem Kaiser’s in Zehlendorf mit einem leeren Einkaufswagen und einem Zettel daran: Aufruf zur Lebensmittelspende. Die gesammelten Produkte haben ein besonderes Ziel: drei syrische Flüchtlingsfamilien in der Prinzenallee in Wedding. Trotz anfänglicher Schüchternheit zwischen Käufern und Jugendlichen füllt sich der Wagen unerwartet schnell. Am Ende stehen wir sogar vor zwei gefüllten Einkaufswagen.

Das Projekt war Teil der Vorbereitung zur Firmung, um uns die Intention der Katholischen Kirche und der Caritas zu vermitteln. Daraus wurde eine prägende Erfahrung, als wir schließlich in Begleitung von Carolin Gröger von der „Youngcaritas“ und Pastoralreferentin Esther Göbel die Flüchtlingsfamilien besuchten. Jeder von uns hat einen Rucksack auf dem Rücken und mindestens eine Tüte in der Hand, vollgepackt mit Reis, Nudeln, Öl, Kaffee, Zucker, Mehl, Salz, Drogerieartikeln, Süßigkeiten, frischem Obst und Gemüse. Während wir damit die Gänge der U-Bahn blockieren, malt sich jeder von uns die Reaktion der Menschen aus, von denen wir noch keine Vorstellungen haben.

Als wir endlich vor der Haustür stehen, sind wir ein wenig verwirrt. Es ist ein Mehrfamilienhaus, sieht einladend und kein bisschen heruntergekommen aus. Ein junger Mann in Lederjacke läuft eilig an uns vorbei. Unsicher, ob wir richtig sind, fragen wir ihn. Der Mann spricht kein Deutsch. Wir verständigen uns über Zeichensprache und er lässt uns hinein.

Die Autorinnen. Klara-Luise Spielmann (l.) und Alba Schwab De la O.
Die Autorinnen. Klara-Luise Spielmann (l.) und Alba Schwab De la O.

© Thilo Rückeis

Im Flur gucken uns etwa 15 Menschen neugierig an. Der junge Mann in Lederjacke ist auch dabei. Schüchtern betreten wir die Wohnung. Plötzlich läuft uns ein kleines Mädchen mit großen Augen und strahlendem Lachen entgegen. Durch ihre unvoreingenommene Art fällt es uns viel leichter, auch die anderen zu begrüßen. Wir packen Taschen und Rucksäcke auf dem Flur aus und setzen uns auf das uns angebotene Sofa. Die Syrer stehen oder setzen sich auf den Boden, so wie einige von uns, weil selbst zwei Sofas für alle nicht reichen. Wie auf einem Basar! Es ist eine unangenehme Situation, als die Lebensmittel, die für uns so selbstverständlich sind, von den Flüchtlingen bestaunt werden. Einer der Frauen kommen die Tränen. Uns allen wird etwas komisch, weil wir nicht wissen, wie wir uns verhalten sollen.

Carolin fängt ein Gespräch mit einem Syrer an. Er ist der Einzige, der Englisch spricht. Die anderen können nur Arabisch und kleine Fetzen Deutsch. „Hallo“, „Danke“, „Ich liebe dich“. Wir müssen alle lachen, als jeder sein Bestes versucht. Die Stimmung wird lockerer, doch die Ernsthaftigkeit bleibt. Einer berichtet von den Grausamkeiten in Syrien. Der junge Mann in Lederjacke wurde von der syrischen Polizei, als er auf der Straße unterwegs war, mit Schlagstöcken attackiert, an Kopf und Rücken verletzt. Ohne Grund. Ohne Sinn. Wir fragen, wie sie Deutschland finden. „Es ist schön.“

Wir fragen, was sie am meisten vermissen. Einer der Syrer gibt die Frage an seine Frau weiter. Alles wird still. Die Augen der Frau glänzen und sie sagt etwas auf Arabisch mit belegter Stimme. Ihr Mann übersetzt es: „The thing we miss the most is the soul of our country.“ Man merkt jedem von uns an, wie tief dieser Satz ging. Auch die anderen sehen aus, als wären sie in Gedanken gerade nicht in Deutschland.

Wir fühlen: Keiner von diesen Menschen hat so ein Schicksal verdient. Auch wenn wir vor dem Besuch noch Bedenken, vorgefertigte Meinungen oder einfach gar keine Meinung zu diesen Menschen hatten, ist plötzlich ein Gefühl da. Es kann sein, dass man das Nächstenliebe nennt. Es ist auf jeden Fall ein riesiges Gefühl. Die Flüchtlinge haben ein Gesicht bekommen, ihr Leben ist schwer zu vermitteln. Als wir Fotos machen, lacht jeder. Es ist fast wie eine Maske, mit der wir versuchen, uns selbst zu schützen.

Die Syrer sind nicht nur dankbar für die Lebensmittel, sondern für den Besuch und das Interesse, das wir gezeigt haben. Denn das haben sie bis jetzt noch nicht erlebt. Diese besondere Erfahrung hat uns alle weitergebracht: Diese wundervollen Menschen haben unsere Weltsicht in nur einer Stunde verändert.

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