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Berlin: Kriminelle Terminsachen

Weil Prozesse nicht rechtzeitig starteten, kamen Straftäter frei – Politiker: Weniger Bagatellen verfolgen

Weil das überlastete Berliner Landgericht keinen Prozesstermin fand, ist ein mutmaßlicher Gewalttäter aus der Untersuchungshaft auf freien Fuß gesetzt worden. Der zuständigen Schwurgerichtskammer gelang es offenbar in sechs Monaten nicht, einen Termin für den Totschlagsprozess anzuberaumen. Das bestätigte Justizsprecher Björn Retzlaff. Der 22-jährige Berliner erstach am 1. Dezember seinen Vater. Er wurde noch am selben Tag festgenommen und gestand die Tat.

Auch ein zweiter Häftling wurde von der Haft verschont. Er soll versucht haben, einen Auftragskiller anzuheuern, um einen früheren Geschäftspartner umzubringen. Der Vorsitzende des Berliner Richterbundes, Peter Faust, kritisierte die Ausstattung der Justiz als unzureichend. „Selbst der kleinste Einschnitt geht bei uns an die Substanz“, sagte Faust dem Tagesspiegel. Es würden dringend neue Richter benötigt. Auch der Bund deutscher Kriminalbeamter kritisierte die Sparpolitik. Die Entlassung der beiden Tatverdächtigen aus Kapazitätsmängeln sei ein „handfester Justizskandal“.

Die Untersuchungshaft darf nur in begründeten Ausnahmefällen länger als sechs Monate dauern, zum Beispiel im Fall eines besonders komplizierten Verfahrens. Im zuerst genannten Fall gibt es nicht viel zu ermitteln, da der Beschuldigte die Tat gestanden hat. Weshalb es so lange dauern kann, einen so klaren Fall so lange nicht zu terminieren, konnte gestern in der Justiz niemand sagen. Es wurde vermutet, die 32. große Strafkammer verfolge politische Zwecke, sie wolle auf die Missstände in der Justiz aufmerksam machen. Die Staatsanwaltschaft hat gegen die Beschlüsse Beschwerde eingelegt.

Für den grünen Rechtspolitiker Volker Ratzmann zeugen die Fälle von einer dramatischen Entwicklung. Bei komplizierten Verfahren, zum Beispiel Drogendelikten, habe sich mittlerweile eine Dauer der Untersuchungshaft bei einem Jahr als normal eingependelt. „Es gibt einen Stellenstopp, freie Stellen werden nicht besetzt und frei werdende Stellen auch nicht“, sagt Ratzmann. Er forderte eine Debatte, wie man mit den begrenzten Ressourcen umgehen will – zum Beispiel durch weniger Verfolgung von Bagatelldelikten. Laut Ratzmann „blockieren Staatsanwaltschaft und Gericht sich selbst, indem sie mehr verfolgen als nötig“.

Fatina Keilani

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