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Berlin: Kroatischer Oberschüler lebte seit neun Jahren in Berlin - die Freunde fordern seine Rückkehr

In der Klasse 10a der Gustav-Freitag-Oberschule (Realschule) in Reinickendorf saß der 17-jährige Marijan G. in der ersten Reihe neben Rene.

In der Klasse 10a der Gustav-Freitag-Oberschule (Realschule) in Reinickendorf saß der 17-jährige Marijan G. in der ersten Reihe neben Rene. Fast vier Jahre war dieser Platz eine Art Heimat für ihn, in wenigen Monaten hätte er die zehnte Klasse abgeschlossen. Seit Montag vergangener Woche ist der Stuhl des ehrgeizigen Kraoten leer, seine Klassenkameraden haben auf dem Tisch davor eine Kerze aufgestellt. Sie steht auf einer weißen Karte, worauf seine Mitschüler unterschrieben haben, als sei das Papier ein Kondolenzbuch. Als sei Marijan gestorben, doch er lebt. Er ist Flüchtling und wurde am vergangenen Dienstag nach Kroatien abgeschoben. Die Klassenkameraden sind geschockt. "Er wurde bei der Ausländerbehörde ohne Ankündigung festgenommen und in Abschiebehaft gesteckt", sagt seine Lehrerin Karin Werren noch immer fassungslos.

Sie hat sich sehr dafür engagiert, dass ihr Schüler die Klasse noch beenden darf. Denn die Familie lebte bereits seit Januar 1998 nur noch mit einer "Grenzübertritt-Bescheinigung" in Berlin, die für Flüchtlinge die schriftliche Aufforderung zur "freiwilligen" Ausreise bedeutet. Mutter und Sohn wurden festgenommen, als sie bei der Ausländerbehörde um weitere Duldung baten, sagt deren Anwältin Sabine Schröter. Der Vater wurde bereits 1998 ausgewiesen, nachdem die Eltern sich hatten scheiden lassen.

Nach Berlin kam Marijan vor neun Jahren, zusammen mit seinen Eltern und seiner älteren Schwester, die aus gesundheitlichen Gründen weiterhin in Berlin bleiben darf. In einem Schreiben der Schule mit 400 Unterschriften baten die Lehrerin und der Schulleiter Alfred Geschke bereits im vergangenen Jahr den Petitionsausschuss des Abgeordnetenhauses darum, dass Marijan noch die Realschule zu Ende besuchen darf. Dies blieb erfolglos. Und auch jetzt wollte sich die Pressestelle der Senatsinnenverwaltung nicht zu der Abschiebung äußern.

Marijan G. hatte sogar schon für das nächste Schuljahr einen Platz am Oberstufenzentrum Textil bekommen, weil er Modedesign studieren wollte, sagen seine Mitschüler. Auch nach seiner Festnahme versuchte die Klasse, Kontakt mit ihm herzustellen. Am vergangenen Dienstag durfte sich die gesamte Klasse am Flughafen Tegel von ihm verabschieden. Seitdem bemüht sich Schulleiter Geschke mit Eltern und Lehrern darum, Marijan zurückzuholen, "damit er die Schule zu Ende macht". Die Lehrerin hat seine Adresse und hält Kontakt zu ihm. Und auch die Anwältin will einen Versuch zur "kurzfristigen Rückführung" unternehmen, damit er nicht "soviel verpasst". "Eine Entscheidung ohne Augenmaß", urteilt Schulleiter Geschke. Doch Kroatien gilt für die Behörden als friedlich und demokratisch. Der Ausländerexperte der CDU, Roland Gewalt, sagt: "Sobald alle Gründe entfallen, hierbleiben zu dürfen, muss die Ausländerbehörde abschieben." Ein "Auge zudrücken" heiße, dass Tausende andere auf solche Beispiele verweisen würden, um bleiben zu dürfen.

Suzan Gülfirat

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