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Kürzung der Hinterbliebenenrente: Warum wird weniger Rente nach einem Umzug innerhalb Deutschlands gezahlt?

Im November 2010 zog ich, Bezieherin einer Rente und einer Hinterbliebenenrente von Hattingen (NRW) nach Köpenick. Ein halbes Jahr später bekam ich die Nachricht von der Deutschen Rentenversicherung, dass meine Witwenrente rückwirkend um monatlich 30 Euro gekürzt wird.

Im November 2010 zog ich, Bezieherin einer Rente und einer Hinterbliebenenrente von Hattingen (NRW) nach Köpenick. Ein halbes Jahr später bekam ich die Nachricht von der Deutschen Rentenversicherung, dass meine Witwenrente rückwirkend um monatlich 30 Euro gekürzt wird. Begründung: „Wechsel von altes in neues Bundesland“.

Zweiundzwanzig Jahre nach der Wiedervereinigung müssen sich Bezieher von Hinterbliebenenrenten damit abfinden, dass ihre Bezüge bei einem Umzug innerhalb Deutschlands gekürzt werden. Auch wenn sie in Berlin eine Straße weiter ziehen und dabei den Fehler begehen, die ehemalige „Zonengrenze“ zu überschreiten. Ziehen sie ins Ausland, z. B. nach Mallorca oder Griechenland, so erfolgt keine Kürzung. Wie konnte der Gesetzgeber eine solche Regelung festschreiben? Kann ein solches Gesetz vorm Bundesverfassungsgericht bestehen?

Sämtliche Politiker, die ich in der Sache kontaktiert habe, waren bass erstaunt. Niemand kannte diese Regelung des Sozialgesetzbuch VI. Bislang ist aber auch niemand in der Sache tätig geworden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich die einzige Betroffene bin. Warum ist dieses Thema für die Politik uninteressant?

Ingrid Schulze-Pöhler, Berlin-Köpenick

Mehr als zwei Jahrzehnte nach der deutschen Wiedervereinigung werden die gesetzlichen Renten in alten und neuen Ländern immer noch unterschiedlich festgesetzt und angepasst. Der Grund: Seit 1957 gilt in Westdeutschland das Prinzip, dass sich die Rentenansprüche an der Höhe des beitragspflichtigen Arbeitseinkommens eines/r Versicherten orientieren, um so die gesetzliche Rente zu einem Alterslohn für Lebensarbeit zu machen. Bei sofortiger Übertragung dieses Prinzips wäre es aufgrund des seit den 1950er Jahren aufgebauten gewaltigen Unterschieds im Lohnniveau zwischen Ost und West dazu gekommen, dass sowohl die Renten wie die erworbenen Anwartschaften nur sehr niedrig gewesen wären und es keine gesellschaftlich akzeptable Eingliederung der ostdeutschen Rentnerinnen und Rentner in ein gesamtdeutsches Wohlstandsniveau gegeben hätte. Aus diesem Grund wird bei der Ermittlung der Entgeltpunkte in den neuen Bundesländern – im SGB VI als Entgeltpunkte (Ost) bezeichnet – das beitragspflichtige Einkommen mit einem Faktor (gemäß Anlage 10 SGB VI) hochgewertet, der den Unterschied zwischen dem Durchschnittsentgelt in den neuen und alten Bundesländern ausgleichen soll, um im Falle einer Angleichung der Löhne auch die Rentner daran partizipieren zu lassen. Zudem gelten auch bei den jährlichen Rentenanpassungen seit 1992 Übergangsregelungen. Die in Ostdeutschland erworbenen Rentenansprüche richten sich im Wesentlichen nach der Zahl der Entgeltpunkte (Ost), die mit dem aktuellen Rentenwert (Ost) multipliziert werden. Aufgrund einiger Besonderheiten der Anpassungsformel hat sich der aktuelle Rentenwert (Ost) in den letzten Jahren stärker dem entsprechenden Rentenwert (West) angenähert als die Durchschnittsentgelte in beiden Gebietsständen. Aktuell liegt das Durchschnittsentgelt in den neuen Ländern bei rund 87,5 Prozent des westdeutschen Durchschnittslohns, während der aktuelle Rentenwert (Ost) bereits 88,7 Prozent des Westwerts beträgt. Die Folge: Gleich hohe Arbeitseinkommen in den neuen Ländern führen zu höheren Rentenansprüchen wie in den alten Ländern. Oder anders: Eine gleiche Beitragsleistung in Frankfurt (Oder) führt zu höheren Rentenansprüchen wie die gleiche Beitragsleistung in Frankfurt (Main). Trotz des noch niedrigeren Rentenniveaus kann also von einer Benachteiligung der Rentnerinnen und Rentner in Ostdeutschland keine Rede sein.

Für die Höhe des selbst erworbenen Rentenanspruchs ist es nur entscheidend, ob die Ansprüche in den neuen oder den alten Ländern erworben wurden, nicht aber, ob diese Rente in Ost- oder Westdeutschland bezogen wird. Wenn deshalb bei jemandem, wie bei Frau Schulze-Pöhler, die Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung bei einem Wohnsitzwechsel von West- nach Ostdeutschland gekürzt werden, ist dies darin begründet, dass bei Witwen-/Witwerrenten eine Anrechnung der eigenen Einkommen vorgenommen wird. Diese Hinterbliebenenrente wird nur dann in voller Höhe gezahlt, wenn das eigene Einkommen des überlebenden Ehegatten einen monatlichen Freibetrag in Höhe des 26,4-fachen des aktuellen Rentenwerts nicht überschreitet. Diese Regelung, mit der gleichermaßen dem Selbstbehalt des unterhaltspflichtigen Ehegatten wie der Kostenneutralität einer Gleichbehandlung von Witwe und Witwer Rechnung getragen werden sollte, geht auf das Jahr 1986 zurück. Seit 1992 richtet sich dieser Betrag nach dem Wohnsitz. In den alten Ländern sind dies derzeit 725,21 Euro und in den neuen Ländern 643,37 Euro. Wenn die eigene Rente und gegebenenfalls die anderen Einkommen diesen Freibetrag übersteigen, werden 40 Prozent des über diesen Grenzen liegenden Betrags von der Witwen-/Witwerrente abgezogen – im Fall von Frau Schulze-Pöhler gut 30 Euro. Frau Schulze-Pöhler ist die Betroffene einer noch immer ausstehenden Vereinheitlichung des Rentenrechts. Aber hier besteht Hoffnung auf Abhilfe, denn in ihrem Koalitionsvertrag hat die amtierende Bundesregierung versprochen:“…Wir führen in dieser Legislaturperiode ein einheitliches Rentensystem in Ost und West ein.“

— Professor Dr. Dr. h. C. Bert Rürup, Spezialist für Altersvorsorge

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