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Berlin: Ladenschluss: Das offene Geheimnis - Die Spätverkaufsläden sind nächtliche Konsum-Oasen

Diese Geschichte dürfte es eigentlich nicht geben. Denn ihre Protagonisten sind verboten.

Diese Geschichte dürfte es eigentlich nicht geben. Denn ihre Protagonisten sind verboten. Doch wie das so ist mit dem Verbotenen, es hat seinen Reiz und diesem Fall auch seinen Nutzen. Und weil die Berliner ihren Spätkauf lieben, und wir die Oasen in der deutschen Konsumwüste nicht trockenlegen wollen, müssen wir ausnahmsweise sparsam mit den Fakten sein. Also sagte der Mann vom Amt: "Solange die keiner anzeigt oder wir sonst irgendwie draufgestoßen werden, kontrollieren wir nicht."

"Offen ist, wenn an ist": Das Schild vor dem Laden in Friedrichshain ist die nette Antwort auf rigide Ladenschlussregelungen. Solange die Lampe neben dem "Überlebensmittel"-Laden leuchtet, wird verkauft. An diesem Abend bis 23 Uhr. Eine Mitarbeiterin wischt den Boden vor der Theke. Morgen früh ab sieben gibt es wieder frische Brötchen. Eine junge Frau mit kahlrasiertem Kopf bedient die letzten Kunden. Dabei lächelt sie so freundlich, dass man das Versprechen auf der Tafel vor der Tür ("König oder Königin sein") gerne glaubt. Das Warenangebot reicht für ein italienisches Essen (Nudeln von "Barilla", Pesto, Parmesan) und ein Rendezvous (Sekt, Früchte, Kondome).

Eine viel befahrene Straße in Kreuzberg: In der antiseptischen Variante des Spätkaufs stehen blitzsaubere Vitrinen, sind die Wände mit weißem Kunststoff verkleidet, ist der Boden gefließt. Folklore hallt wider im halbleeren Raum. Im Angebot eine beachtlich Auswahl an Weinen, Tee aus dem Samowar und türkisches Gebäck. An der Kasse steht ein Mann mit Bart. Er spricht nur das Notwendigste. Bis nachts um eins gibt es hier "Tschibokaffee", wie die Klebebuchstaben auf dem Fenster versprechen.

Studigemütlichkeit in Friedrichshain, Migrantenstolz in Kreuzberg und - Kiezglück am Prenzlauer Berg. Die Verkäuferin trägt eine sanfte Dauerwelle, blondiert. Der Laden wird ungedämpft von Neon ausgestrahlt, das die Kassettendecke aus Holzimitat wunderbar zur Geltung bringt. An der Wand Plastikblumen, über der Kasse ein Panorama des Brandenburger Tors, handgemalt. Trash-Chic zieht die Szene an, die Kundschaft steht bis fast auf den Bürgersteig. Das Gemüse hat eher Discounter-Qualität, und die Schnapsauswahl ist beachtlich. "Ist das alles?", fragt die Frau an der Kasse angesichts eines mageren Einkaufs. Die meisten gehen mit vollen Tüten.

Ein paar Straßen weiter, immer noch Prenzlauer Berg, eine Dorfidylle: Vor der Tür wachsen zwei Linden, darunter Holzbänke. Nur der Trinker mit dem roten Kopf ist Großstadtpersonal. Im Geschäft bearbeitet ein Junge eine Trommel. Die "Beastie Boys" kommen kaum dagegen an. Hinter der Registrierkasse aus Metall ein Mann mit geflochtenem Zopf. Das Obst und Gemüse ist appetitlich angerichtet wie beim Wochenmarkt. Eine alte Dame füllt ihre Leinentasche bis obenhin.

Wie man diesen oder einen der vielen anderen Spätkauf-Läden im großen Berlin findet? Am besten Freunde, Bekannte, Kollegen fragen. Beinahe jeder kennt eine Oase, die auch nach Ladenschluss noch nicht schließt.

Jasmin Jouhar

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