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Analyse: Kirchen konnten ihre Mitglieder nicht mobilisieren

Der Ost-West-Gegensatz und die Berliner Parteipräferenzen schlugen auf das Ergebnis durch.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Das Ergebnis des Volksentscheids Pro Reli hat sogar den erfahrenen Landeswahlleiter Andreas Schmidt von Puskás überrascht, der seit fast 20 Jahren an Wahlen und Abstimmungen in Berlin organisatorisch mitwirkt. „Ich hätte gedacht, dass die Abstimmung, so wie der Volksentscheid zu Tempelhof, einfach am Beteiligungsquorum scheitert“, sagte er gestern. Dass es auch mehr Nein- als Ja-Stimmen gab, hat er nicht erwartet.

Offenbar hätten es die Kirchen nicht geschafft, so der Landeswahlleiter, ihre Mitglieder für ihr Anliegen zu mobilisieren. Die nackten Zahlen geben ihm recht. 981 000 Berliner gehören der evangelischen oder katholischen Kirche an. Für einen Wahlpflichtbereich Ethik/Religion stimmten am Sonntag aber nur 346 119 wahlberechtigte Bürger. Mit der erfolgreichen Unterschriftensammlung, die im vergangenen Jahr den Volksentscheid erzwang und von mehr als 300 000 Berliner unterstützt wurde, hatte Pro Reli das eigene Unterstützerpotenzial offenbar schon weitgehend ausgeschöpft.

Dass 51,3 Prozent der Teilnehmer mit Nein und 48,5 Prozent mit Ja stimmten, wird in jedem Fall die Meinungsforscher von Forsa und Infratest dimap freuen, die seit Jahresbeginn vorausgesagt haben, dass Berlin bei Pro Reli „fifty-fifty“ gespalten ist. Diese Spaltung manifestiert sich, wie auch bei den Berliner Parlamentswahlen seit 1990 und beim Volksentscheid zum Flughafen Tempelhof, zwischen Ost und West. An der Spitze der Pro Reli-Bewegung stehen Spandau (69,2 Prozent der Teilnehmer), Reinickendorf (69,1 Prozent) und Steglitz-Zehlendorf (66,3 Prozent), aber auch die anderen Westbezirke liegen über 60 Prozent.

Bei den Nein-Stimmen liegen Lichtenberg (78,4 Prozent), Marzahn-Hellersdorf (77 Prozent) und Treptow-Köpenick (73,5 Prozent) vorn, dicht gefolgt von den übrigen Ost- und „Misch“-Bezirken. Dass in einzelnen Stimmbezirken der Einfluss aktiver Kirchengemeinden den Ost-West-Gegensatz überlagert hat, ändert das Gesamtbild nicht. Besonders bemerkenswert ist, dass es den Gegnern von Pro Reli gelungen ist, die Bevölkerung im östlichen Teil Berlins und im Stadtzentrum in ihrem Sinne zur Stimmabgabe zu bewegen. Die Initiatoren des Volksentscheids haben dies nicht im gleichen Maße geschafft.

Den Erfolg für die Befürworter des Pflichtfachs Ethik kann sich im Ostteil der Stadt wohl die Linke an ihre Fahne heften. Der kleine Koalitionspartner der SPD hat in den vergangenen Wochen eine starke Kampagne gegen Pro Reli organisiert. In Stadtregionen, in denen teilweise nicht einmal zehn Prozent der Bevölkerung Kirchenmitglied sind, dürfte dies auf fruchtbaren Boden gefallen sein. Jedenfalls war die Wahlbeteiligung im Osten Berlins, im Vergleich zum Volksentscheid zu Tempelhof, relativ hoch.

Im Westteil Berlins hat den Sozialdemokraten sicher geholfen, dass sie die Grünen großenteils an ihrer Seite hatten – und dies öffentlich klar kommuniziert wurde. Für die gesamte Stadt kann man deshalb sagen, dass die Berliner Parteipräferenzen, eine strukturelle Mehrheit für Rot-Rot-Grün, auf das Ergebnis der Abstimmung am Sonntag wieder einmal durchgeschlagen hat. Eine kürzlich veröffentliche Infratest-Umfrage bestätigte dies. CDU- und FDP-Anhänger sind mehrheitlich für Pro Reli, Grüne und Linke sind dagegen, die SPD-Wähler zeigen sich gespalten.

Keine Erkenntnisse gibt es darüber, ob junge und alte Berliner, Frauen und Männer, Eltern und Singles, Gebildete und Ungebildete, Arme und Reiche unterschiedlich abgestimmt bzw. teilgenommen haben. Denn es gibt bei Volksentscheiden weder eine repräsentative Wahlstatistik noch amtliche Prognosen, sondern nur vereinzelte Meinungsumfragen. Umfragen bestätigten nur die Vermutung, dass Eltern schulpflichtiger Kinder überdurchschnittlich am Volksentscheid interessiert waren. Der Landeswahlleiter wird am heutigen Montag seine Analyse zur Abstimmung über Pro Reli vorlegen.

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