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Frank Henkel (re.) auf Wahkampftour.

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CDU-Kandidat im Wahlkampf: Henkel macht durch

"Hallo, ick bin der Frank!" Der CDU-Spitzenkandidat ist Außenseiter im Zweikampf Wowereit gegen Künast. Zum Start seiner Wahkampf-Nachttour durch Berlin ist er nach Mitte gekommen. Da muss man zwangsläufig mit Gegenwind rechnen.

"Und dann gleich schön ins Halteverbot!", sagt einer der Mitarbeiter vom Ordnungsamt Mitte, während Frank Henkel an der Torstraße aus seinem Wahlkampfmobil steigt. Der blaue Ford Transit, auf dessen Heckscheibe Henkels Gesicht grinsend leuchtet, hält in der zweiten Reihe. So geht das ja nicht, finden die Männer, mit denen der 47jährige, seit Februar Spitzenkandidat der CDU in Berlin, eigentlich auf Streife gehen will. Da gibt es gleich ein Ticket. Also normalerweise. Aber dann gibt es doch kein Ticket und Frank Henkel lächelt die kleine Ordnungswidrigkeit einfach weg, während er versucht, seine schwarze Lederjacke zu schließen. Gar nicht so einfach im Aprilsturm, der an diesem Abend die Hauptstadt zerzaust. Aber da muss Frank Henkel jetzt durch. Er hat es sich ja so ausgesucht. Wahlkampf in Berlin, als Außenseiter im Zweikampf Wowereit gegen Künast. Da muss man zwangsläufig mit Gegenwind rechnen. Aber Henkel sucht genau diese Windecken, deswegen ist er zum Start seiner Nachttour durch Berlin nach Mitte gekommen, in einen, für die Berliner CDU immer noch "schwierigen Bezirk", wie Henkel zugibt. Seine Partei ist hier längst unter 20 Prozent gerutscht. Unter Volksparteiniveau.

Da ist es nur folgerichtig, dass Henkel, als Mann des Volkes, der er gerne sein will, jetzt mal hier vorbei schaut. Er reicht den Wartenden die Hand. "Hallo, ick bin der Frank." Und, sagt dann: "Eine laue Sommernacht ist es nicht mehr geworden." Das Ordnungsamt ist versöhnt. Ganz lustig, dieser Mann des Volkes. Aber Henkel hat, erst einmal, genug gesprochen. Er steht jetzt, die Arme vor dem Bauch verschränkt, einfach da und hört zu, während der Sachbearbeiter aus dem Alltag des Ordnungsamtes berichtet. Es ist eine Inventur des Mangels. Zu wenig Personal. Nur vier Sachbearbeiter für einen Bezirk mit mehr als 300.000 Einwohnern. Henkel nickt, blickt in die Runde, zählt kurz nach und stellt, halb belustigt, halb schockiert fest: "Dann sind ja heute Abend alle hier!" Na klasse, dann kann's ja losgehen. Und es geht los. Endlich. Haben ja alle genug gewartet. Und es gibt ja auch genug zu tun. Das Ordnungsamt will eine Shisha-Bar kontrollieren. Als Stichprobe. Eine Gewerbe rechtliche Maßnahme mit Jugend rechtlichem Schwerpunkt, heißt das in Sachbearbeitersprech. Henkel nickt. Aha, sagt sein Gesicht: "Watt stell'n se da so fest?", will er wissen. "Wir werden Jugendliche unter 18 Jahren antreffen und es wird Alkohol ausgeschenkt."

Gut, sagt Henkel, und folgt den Beamten zum Einsatzort. In seinem Nachttour-Outfit, schwarzer Rollkragenpullover unter der dunklen Lederjacke, dazu Hose und Schuhe in derselben Farbe, sieht er dabei selbst aus wie der Koordinationsbeauftragte einer privaten Sicherheitsfirma. Es ist die perfekte Camouflage eines professionellen Untersvolkmischers.

Tür auf. Kontrolle. Eine Szene, wie man sie aus den Reality-Shows auf RTL 2 kennt. Die Ausweise, bitte! "Ick guck mal, watt die Jungs hier jetzt machen", sagt Henkel und läuft einmal durch den Laden, in dem an niedrigen Tischen und orientalisch gehaltenen Séparées Jugendliche, die auch problemlos zur Entourage von Bushido gehören könnten, an langen Schläuchen hängen. "Früher hatte ick keinen Ausweis dabei, wenn ick wegjejangen bin", sagt Henkel, der trotz seiner massiven Statur etwas verloren wirkt. Mit Leuchtschläuchen umwickelte Kunstpalmen spiegeln sich in seiner randlosen Brille, hinter der sein Blick unruhig über die Szenerie huscht. Richtig wohl fühlt er sich hier nicht. Und steht dann auch noch im Weg. Ein Kellner schiebt ihn beiseite: "Ich muss hier arbeiten." Das sieht jetzt stark nach Interessenkonflikt aus, weil Henkel ja im Grunde hier auch arbeiten muss. Schließlich ist das genau sein Job in dieser Nacht: In der Gegend rumstehen, beobachten.

Die Kontrolle war erfolgreich. Alkoholausschank ohne Lizenz. In der Shisha-Bar droht die Stimmung zu kippen. Henkel drängt nach draußen. "Das wirkt vielleicht etwas deeskalierend", sagt er und schließt die Tür hinter sich. Er habe gemerkt, sagt Henkel, dass seine Anwesenheit nur noch zusätzlich für Spannung sorgen würde. Das muss ja nicht sein.

Frank Henkel ist ein Stimmungsmensch, er denkt mit dem Bauch, merkt schnell, wenn sich emotionale Gemengelagen zu seinen Ungunsten verändern und reagiert sofort. Er besitzt diesen Instinkt der Straße, den man nicht erlernen kann. Einen Instinkt, den er längst zum Dogma seines Wahlkampfes gemacht hat. Henkel will "in die Stadt hineinhorchen", wie er es nennt. Als Vor-Ort-Politiker mit den Ohren auf den Bürgersteigen.

Wenn Henkel über die Stadt spricht, die er belauschen will, während seiner Realitätssafari fernab der Aktenberge, trägt er seine Biographie unverkennbar in der Stimme. Geboren in Ost-Berlin, später mit den Eltern in den Westen gezogen Ein Kind dieser Stadt, wie er immer wieder betont.

Läuft man mit Frank Henkel durch Berlin, ist es schwer, nicht selbst in sein eigentlich unaufdringliches, aber doch ansteckendes Berlinerisch zu verfallen. Besonders, wenn er einfach anfängt zu erzählen, Anekdoten ganz nebenbei mit politischen Visionen verknüpft. Wenn Henkel sich zu erinnern beginnt, an damals, sagt er: "Als Pipel hab ick" und es folgen Geschichten über Currywürste bei Krasselt's oder aus dem Far Out ("Dit war immer 'ne gute Disko. Auch wenn das so'n Bagwan-Laden war."). Es gelingt ihm dabei jedoch, erstaunlicherweise, die Balance zu halten, zwischen Nähkästchenplauderei und beruflicher Ernsthaftigkeit.

Nur wenn ihm ein besonders guter Spruch gelungen ist, lacht er, wie ein Eckkneipier nach einer Pointe, die erst mit einem Herrengedeck hinunter gespült werden muss.

Während in der Bar noch immer die Personalien aufgenommen werden, schleicht sich Henkel, an einen der Journalisten heran, packt ihn an den Schultern und sagt, einfach so, weil ihm gerade danach ist: "Kann mich ick mal Ihren Ausweis sehen?" Dann lacht er wieder. Laut. Schallend. Vielleicht muss man, um in die Stadt hinein zu horchen zu können, erst einmal ein eigenes Echo erzeugen.

Auf dem Weg zurück zum Auto wird Henkel von zwei jungen Mädchen angesprochen. "Kennen Sie sich hier aus", will die eine wissen. Klar kennt sich Henkel aus. "Wo wollta denn hin?" Die Mädchen wollen zum Naturkundemuseum und bekommen eine präzise Wegbeschreibung. Danke. Tschüss, sagt Henkel. Und als die Mädchen außer Hörweite sind: "Die wollen bestimmt in die Hafenbar. Mann, Mann, Mann." Da war er auch länger nicht mehr. Aber er hat gerade auch nicht die Zeit für ausgelassene Schlager-Partys. Und so steigt Frank Henkel wieder in sein Wahlkampfmobil.

Nächster Halt: Hauptbahnhof. Es ist mittlerweile kurz vor halb Zwölf. Henkel aber ist immer noch wach. Er hat heute "zwei Stunden vorgeschlafen". Ein Luxus für jemanden wie ihn, für den sechs Stunden Schlaf sonst schon Urlaub sind. Trotzdem nimmt er, kurz bevor er aus dem Wagen steigt, noch einen Schluck aus seiner Cola-Flasche. Zero. Natürlich. Man muss eben auch auf sich achten. Hallo, wach! Es wird ein kurzer Besuch. Henkel lässt sich von einer Frau, deren Brillengestell farblich auf ihren leuchtend roten Schal abgestimmt ist und einem Vertreter der Bundespolizei über die Sicherheitslage am Hauptbahnhof aufklären. Terrorwarnung, Lichtenberg. Subjektives Unsicherheitsgefühl. Er hört zu und sagt dann, nachdem er den Blick über die von klinischem Licht erhellte Leere zwischen den Gleisen hat gleiten lassen: "So ein Bahnhof lockt ja auch immer ein gewisses Klientel an." Und natürlich sagt Henkel auch gleich noch: "Das kennt man ja vom Bahnhof Zoo Ende der 80er Jahre. Christiane F." Die Frau in dem roten Schal, mit dem roten Brillengestell nickt nur. Sie kann schließlich nicht wissen, dass Frank Henkel schon früher durch Berlin gerannt ist. Immer mit dem Ohr auf dem Bürgersteig. Damals, als Pipel.

Und weil der Pipel in ihm früher bestimmt auch gerne Polizist gespielt hat, lässt sich Henkel jetzt noch die Arrestzellen der Bundespolizei zeigen. Dann muss er aber auch schon weiter. Vor dem Bahnhof, der nun, um Viertel nach Eins vor dem Panorama aus Kanzleramt und Reichstag wie eine gigantische Lichtinstallation als Hommage an den Fortschritt der Metropole wirkt, steigt Henkel in ein Taxi. Es gibt noch eine Menge Stadt, in die hinein gelauscht werden muss. Und lauschen, das wird deutlich, kann Frank Henkel ganz gut.

Auch, weil er die Sprache der Leute spricht. Im Taxi, das ihn nun zur Bahnhofsmission am Zoologischen Garten bringen soll, will er gleich wissen, worüber die Leute zurzeit am meisten meckern. "Über die Politik", antwortet der Taxifahrer. "Etwa auch über die CDU?", fragt Henkel, "das kann ich mir nicht vorstellen." Und wieder beendet er den Satz mit einem dröhnenden Lachen. Mann, Mann, Mann. "Im Taxi lernt man viel über Menschen", sagt er noch, bevor er aussteigt. 11,40 Euro. Gutes Geschäft noch. Er schließt die Beifahrertür. Sein Gesicht ist wie immer vor ihm da. Das Wahlkampfmobil parkt vor dem Eingang der Bahnhofsmission, diesmal ordnungsgemäß im Parkhafen. Henkel klingelt. Dieter Puhl, der Leiter der Mission, öffnet die gläserne Tür. "Hallo, Nachtarbeiter", sagt er. Das findet Henkel nun ziemlich lustig und folgt seinem Lachen in den Vorraum. Henkel hat Schrippen, Kaffee und Schlafsäcke dabei. "Könnt ihr das gebrauchen", fragt er. "Wir können alles gebrauchen", sagt Puhl und beginnt mit der Führung durch die Mission, die trotz der stürmischen Kälte überraschend leer ist. Nur die ehrenamtlichen Mitarbeiter bereiten das Frühstück vor. Gelegenheit für Frank Henkel, noch einmal ganz Frank Henkel zu sein. Ein Virtuose des Smalltalks, dessen Fragen einfach sind, scheinbar aus einer geradezu kindlichen Neugierde entstehen. Meist auch einfach aus dem Moment heraus. Wäre Frank Henkels Gesprächsführung ein Boxstil, er würde sein gegenüber allein mit rechten Geraden bearbeiten. So entwickelt sich zwischen Henkel und den Menschen, denen er Gegenüber steht ein Kinderkanal kompatibles Frage-Antwort-Spiel - wer, wie, was, warum - bei dem Henkel tatsächlich so harmlos wirkt, als wäre er ein großer, gutmütiger Plüschbär mit einem kaum zu stillenden Wissensdrang.

"Was studieren Sie denn", will er von einer der ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen wissen. "Latein und Altgriechisch." Henkel macht sein Aha-Gesicht: "Sehen Sie", sagt er, "ick hätte jetzt Sozialpädagogik gesagt." Naja, aber er will jetzt "auch gar nicht länger den Betrieb aufhalten". Und ohnehin: Ist ja auch schon spät jetzt. Dann lässt sich Henkel aber doch noch den Rest der Mission zeigen, Vorratsräume, Notschlafplätze, Kleiderkammer und verspricht Dieter Puhl bei Kaffee und Kuchen schließlich noch, dass er wiederkommen wird. Für eine Bürgersprechstunde für Wohnsitzlose. Danach sagt Henkel nicht mehr viel. Er verabschiedet sich bei Puhl und lässt sich erschöpft in den Fond seines Wagens fallen. Für heute hat ihm die Stadt genug erzählt.

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